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Sexy Sexismus
von Maria Asenbaum, Kristina Botka

Sex begegnet uns heute überall. Die letzten Tabus scheinen gebrochen. Aber ist das wirklich die sexuelle Befreiung, für die Frauen Jahrzehnte lang gekämpft haben? Maria Asenbaum und Kristina Botka untersuchen die Kultur der Neuen Sexiness und stellen sie in den Kontext neoliberaler Machtstrukturen.

Starke Frauen, ein bisschen verspielt

„You can bang your head against the wall and try and find a relationship or you can say screw it and go out and have sex like a man.“1 So bewirbt Kim Catrall alias Samantha Jones die erste Staffel von „Sex and the City“, die 1998 erstmals in den USA ausgestrahlt wurde und als „die erste Komödie über Sex und Liebe aus der weiblichen Perspektive”2 gefeiert wird. Bemerkensweit erscheint dabei allerdings, dass die Hauptdarstellerinnen wie Models aussehen, ständig Modemagazine lesen und Schuhe kaufen und am Ende der Serie jede doch ihre „wahre Liebe“ findet.
„Tell me what you think about me, I buy my own diamonds and I buy my own rings, Only ring your cell-y when I’m feelin lonely, When it’s all over please get up and leave…“3, singen Destinys Child im Song „Independent Women“. Das Lied gehört zum Soundtrack von „Charlie’s Angels“, einem Remake der 70er Jahren TV-Serie „Drei Engel für Charlie“, mit Farrah Fawcett. „Der Erfolg der Serie beruhte sicherlich mehr auf der Attraktivität ihrer drei Hauptdarstellerinnen als auf der Originalität der Drehbücher“, behauptet Wikipedia. Auch in den 2000 und 2003 gezeigten Kinoversionen ist der Plot wenig originell, dafür sind die Engel als knapp bekleidete Geishas, Heidis und in anderen stereotypisierenden Minikleidern zu sehen. Der emanzipatorische Fortschritt im Laufe von dreißig Jahren ist hier schwer auszumachen.
Die neuesten Sexsymbole der Popindustrie sind die „Pussycat Dolls“, die sowohl in den Songtexten als auch in der erotischen Optik eine neue qualitative Stufe darstellen. Auf ihrer Homepage, auf der übrigens die neuen „Don’t-cha“-Tank-Tops und andere must-haves käuflich zu erwerben sind, erklärt Lead-Sängerin Nicole Scherzinger die Philosophie der Kätzchen: „Wir sind zwar stark, aber wir wollen manchmal auch einfach nur spielen. Diese Zeile in ‚Don’t Cha’ – sie lautet ‚don’t cha wish your girlfriend was hot like me’ –, sie soll unsere Zuhörer zum Beispiel bestärken. Denn es geht uns bei The Pussycat Dolls um mehr als nur um das heiße Aussehen – wir wollen auch echte Gefühle transportieren.“. Robin Antin, die Gründerin des „Tanzensembles“ formuliert noch enthusiastischer: „Es geht darum, vor dem Spiegel zu singen und zu tanzen und einfach Spaß dabei zu haben“, denn: „In jeder Frau steckt eine Pussycat Doll“.4

Das Spiel hat Folgen

Was hier danach klingt, Spaß mit dem eigenen sexuellen Experimentieren zu haben, nach frechen Frauen mit Selbstbewusstsein und „wir können alles haben“ hinterlässt bei genauerer Betrachtung trotzdem ein komisches Gefühl – intuitiv zweifeln wir an den emanzipatorischen Inhalten hinter Carries Kolumne und den stets nur in schwarzer Lackunterwäsche „echte Gefühle“ transportierenden Katzenpüppchen (wobei „Pussy“ bekannter Weise ja nicht ausschließlich kleine Katzen bezeichnet).
Auch von der Mainstream Wissenschaft wird erkannt, dass das so genannte Spielen mit Klischees von Sexiness im Kontext sich epidemieartig ausbreitender Essstörungen und anderer psychischer Probleme junger Frauen zum bitteren Ernst werden kann. Die „American Psychological Association“ (APA) veröffentlichte 2007 einen Bericht der Task Force „Sexualisation of Girls“5, der diesen Zusammenhang genauer untersucht. In diesem Bericht wird Sexualisierung definiert als (1) der Wert einer Person wird aus der sexuellen Ausstrahlung abgeleitet, unter Ausschließung anderer Merkmale (2) eine Person wird einem eng definierten Attraktivitätsstandard angepasst um sexy sein (3) eine Person wird zum sexuellen Objekt, einem Ding mit sexuellem Wert, und/oder (4) Sexualität wird unangemessener Weise auf eine Person projiziert, besonders in Bezug auf Kinder.
Zunächst wird eine Reihe wissenschaftlicher Studien aufgelistet, die Sexualisierungsmechanismen aufzeigen. Die Ergebnisse können folgendermaßen zusammengefasst werden. Sexualisierung von Frauen gibt es in fast allen Medien: Fernsehserien, Werbung, Magazine, Internet, Videospiele uvm. (z. B. Gow, 1996, Blauwkamp & Wesselink, 2001) Frauen werden weitaus öfter als Männer sexualisiert und verdinglicht (Ansager & Roe, 1999). Die Sexualisierung fokussiert sich auf junge Frauen, wobei häufig das Phänomen verschwimmender Altersgrenzen beobachtet wurde (Cook & Kaiser, 2004). Beispielsweise gibt es Tanga-Slips für 7-10 jährige Mädchen mit der Aufschrift „wink-wink“, oder umgekehrt werden bei Unterwäsche-Modenschauen erwachsene Models als kleine Mädchen angezogen, usw. Die Sexualisierung manifestiert sich auch in interpersonellen Beziehungen. Eltern vermitteln ihren Töchtern, dass Attraktivität das Wichtigste für ein Mädchen ist (Nichter, 2000) und ermutigen teilweise zu Schönheits-Operationen. Freundinnen wenden konformierende Standards von Dünn-Sein und Sexy-sein aufeinander an (Thorne, 1999). Buben belästigen und sexualisieren ihre Mitschülerinnen (Lindberg, Grabe & Hyde, 2007). Das interessanteste Ergebnis der Untersuchungen ist in diesem Zusammenhang, wie Mädchen sich selbst sexualisieren. Die psychologische Forschung erkennt die Selbstverdinglichung (self-objectification) dabei als Schlüsselprozess, d. h. Mädchen behandeln ihre eigenen Körper als Objekte der Begierde Anderer (Frederikson & Roberts, 1997). Die Psychologie spricht von der Internalisierung der Beobachter-Perspektive, wobei die Mädchen vor allem ihr Aussehen bewerten und es mit einem eng definierten Attraktivitäts- und Sexiness-Standard vergleichen.
Im zweiten Teil des APA-Reports geht es um die Folgen dieser Sexualisierung. Eine der dramatischsten Auswirkungen ist dabei der Anstieg an diagnostizierten Essstörungen (vor allem Anorexie und Bulimie) bei Mädchen zwischen 10 und 19 Jahren. Einige ForscherInnen berichten, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem über die Medien vermittelten Schönheitsideal und dem Verbreitungsgrad dieser Krankheiten gibt (Lucas, Beard, O´Fallon und Kurland, 1991). So zeigt z.B. eine Studie auf den Fidschi-Inseln, dass sich dort drei Jahre nachdem das westliche Fernsehen eingeführt wurde, die Essgewohnheiten und die Einstellungen junger Mädchen zu ihrem Körper dramatisch veränderten (Becker, 2004). Eine weitere offensichtliche Auswirkung ist die Nachfrage nach Schönheitsoperationen. Die Daten der American Society of Plastic Surgeons6 belegen im Zeitraum 2000-2005 einen Anstieg der jährliche Rate an Botox-Injektionen um 388%, der Fettabsaugungen um 115% und der Po-Liftings um 283%. Aber nicht alle Folgen der Sexualisierung sind äußerlich sichtbar. So zeigen mehrere Studien Korrelationen zwischen medial vermittelter Sexualisierung und niedrigem Selbstwert, negativer Stimmung und depressiven Symptomen (z. B. Durkin & Paxton, 2002). Außerdem zeigen Mädchen, die häufiger Bildern von idealisierten Körpern ausgesetzt sind, oft Anzeichen von Ängstlichkeit, Scham- und Ekelgefühlen gegenüber dem eigenen Körper (z. B. Slater & Tiggermann, 2002). Interessant ist auch, dass Mädchen, die viele Musikvideos und Magazine konsumieren, bei denen es um ein bestimmtes Stereotyp von Sexualität geht, von ihren eigenen sexuellen Erfahrungen häufiger enttäuscht sind und auch ihrer Gesundheit dabei weniger Beachtung schenken (Impett, Schooler und Tolman, 2006), Safe-Sex ist oft nicht mehr die erste Priorität, was auch mit den Verschlechterungen in der Aufklärungsarbeit an amerikanischen Schulen in Verbindung gebracht werden kann.7
Als gesellschaftliche Folgen führt der Bericht die Zunahme von Sexismus, sexueller Belästigung und Gewalt, sowie von Kinderpornographie an.

PsychologInnen haben verschiedene Theorien entwickelt, warum Frauen und Mädchen sich den Sexualisierungs-Normen anpassen. Die meisten thematisieren persönliche oder gesellschaftliche Verstärkungsmechanismen, die bestimmte Bilder und Verhaltensweisen von Mädchen belohnen bis diese internalisiert werden. Diese Bilder entstehen aber in der sozialen Auseinandersetzung. Die Darstellung von Frauenkörpern ist nicht zuletzt ein umkämpftes Feld.

Der Kampf um Sexuelle Befreiung

In Verbindung mit den politischen und sozialen Auseinandersetzungen rund um das Jahr 1968 entstand auch eine eigenständige Bewegung die sich für Frauenrechte und Emanzipation einsetzte. Die Frauenbewegung der späten 60er und frühen 70er Jahre war geprägt vom Kampf um sexuelle Befreiung, um (sexuelle) Selbsterfahrung und Selbstbestimmung. Es ging um ein Aufbrechen des konservativ-restriktiven Zugangs zu Sexualität. Die Darstellung nackter Körper(teile), etwa auf den Titelblättern linker StudentInnenzeitungen, sollte die spießbürgerliche Verklemmtheit provozieren. Sexualität, vor allem weibliche Sexualität wurde gefeiert. Das Nach-außen-Tragen des Sexes war Teil des Kampfes um Autonomie und Identität.
Tatsächlich konnte die Frauenbewegung im Lauf der 70er und frühen 80er Jahre einige Ziele erreichen – von Änderungen in der Gesetzgebung bis zu einer gesellschaftlichen Verschiebung des Frauenbildes und der Ächtung frauenfeindlicher Praktiken. In der theoretischen Weiterentwicklung der Bewegung, rückten in dieser Zeit der Zusammenhang von struktureller Gewalt und dem scheinbar individuellen Leiden vieler Frauen und Mädchen in den Vordergrund. Bisher tabuisierte Aspekte der Beziehung zwischen Männern und Frauen, wie Vergewaltigung in der Ehe, sexuelle Belästigung und Kindesmissbrauch, standen nun im Mittelpunkt des Interesses der Frauenbewegung und trugen viel zum Verständnis der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern bei.
Der Differenzierungsprozesse innerhalb der Frauenbewegungen spitzten sich zu, als sich die Gewalt-Debatten vermehrt auch um die Ablehnung von Pornographie drehten. Die zwei zentralen Zugänge wurden einerseits von so genannten „sexpositiven“ und andererseits von „antipornografischen“ FeministInnen vertreten. Die Ersteren bezogen sich auf die in der Gesellschaft ohnehin schon eingeschränkte weibliche Sexualität und auf das Bestreben der sexuellen Befreiung. Dagegen argumentierte Andere „Pornographie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis“8. Besonders als in Anti-Porno-Kampagnen Bündnisse mit nach Zensur lechzenden Konservativen geschlossen wurden und auch Prostituierte ins Schussfeld gerieten, befand sich dieser Teil der Bewegung für viele Frauen im Abseits9. Diese Entwicklungen, die Spaltung der Frauenbewegung, die Konzentration der FeministInnen auf einzelne Aspekte des sexuellen Ausdrucks in den 1970er und 1980er Jahren kann nur im Kontext des allgemeinen Niedergangs der „68er-Bewegung“ verstanden werden.

Post-Feminismus und Raunch Culture

Das Klischee der sexfeindlichen Birkenstock-Emanze hat sich bis heute erhalten. „Wenn wir Worte wie Emanzipation, Geschlechterkampf und Feminismus laut aussprechen, dann kommen wir uns vor, als ob wir einen dicken Döner mit ordentlich Tsatsiki gegessen hätten. Es müffelt übel, abgestanden, unappetitlich, peinlich“, schreibt die Autorin Katja Kullmann in ihrem Bestseller „Generation Ally“10
Heute wird oft von der Ära des „Postfeminismus“ gesprochen, in der scheinbar auf die ursprünglichen Ideale freier Sexualität rekurriert wird. „…Es ist die post-sexuelle-Revolution, post-Frauenbewegungs-Generation, welche jetzt in ihren Zwanzigern und frühen Dreißigern steht – es wird auch weitergehen mit den Generationen, die ihnen folgen – sie haben einfach einen erwachseneren, angenehmeren, natürlichen Zugang zu Sex und Sexiness, der mehr in die Richtung geht, wie Männer es Generationen zuvor erlebt haben…11

Mit einer besonders verdrehten Art des Postfeminismus, dem so genannten raunch feminism12 beschäftigt sich Ariel Levi in ihrem neuen Buch „Female Chauvinist Pigs. Women and the Rise of Raunch Culture“13. Diese Strömung versucht sich selbst in die Tradition des Kampfs um sexuelle Befreiung zu stellen, hat aber bei näherer Betrachtung damit herzlich wenig zu tun.
Ein Beispiel für dieses Missverständnis ist die Frauen-Organisation CAKE14, mit dem Verständnis, dass „die neue sexuelle Revolution dort ist, wo sich sexuelle Gleichberechtigung mit Feminismus trifft“. Auf den berühmten CAKE-Parties in New York und London kann „weibliche Sexualität erobert“ und „Feminismus in Aktion“ erlebt werden: Striptease von und mit Frauen für Frauen, Pornos, Life-sex-streams, … Weibliche Gäste laufen oft nur in sexy Unterwäsche herum, Männer, die zwar nur in Begleitung einer CAKE-Frau Einlass finden, bleiben dabei natürlich angezogen. Die Stripperinnen entsprechen in Körperform und Bekleidung dem üblichen Klischee. Levi fragt zu Recht: Warum ist das der neue Feminismus und nicht das, wonach es aussieht, der alte Sexismus? Die CAKE-Erfinderinnen, Emily Kramer and Melinda Gallagher, früher aktiv in der Frauenbewegungen, sehen das natürlich ganz anders. Sie zelebrieren mit CAKE den „modernen Feminismus“. Levi meint dazu „CAKE ist ein Beispiel für die seltsame Art und Weise, in der Leute die Widersprüche der Vergangenheit ignorieren und so tun, als ob sie nie existiert hätten. Sie mischen einfach verschiedenste und durchaus widersprüchliche Ideologien zusammen und kreieren damit die inkohärente Marke raunch feminism.“15

Von der andren Seite her, gelingt es Firmen wie Playboy oder diversen Stripclubs ihr Image scheinbar so zu verändern, dass sogar ehemalige Frauenbewegungsaktivistinnen sie als fortschrittlich und emanzipatorisch bezeichnen. Einige Frauen glauben, den Spieß umzudrehen, indem die Produkte der Sex-Industrie selbst konsumieren. Oft spielen bei diesem Image-Wandel weibliche Führungskräfte eine zentrale Rolle. So erklärt z. B.Christie Hefner, Tochter des Playboy-Erfinders Hugh Hefner und eine der Leiterinnen des Playboy-Konzerns: „Das Häschensymbol stellt sexy Spaß und ein bisschen Rebellion dar, so wie Bauchnabel-Piercings etwa – oder tief geschnittene Jeans… Es zeigt mehr ich habe Kontrolle darüber, wie ich aussehe und welches Statement ich mache im Gegensatz zu es ist mir peinlich oder ich fühle mich unwohl damit…auffällig, schrill, aber nicht ganz ernst gemeint…verspielt ist wohl die beste Bezeichnung“.16
Die neue Trendsportart Strip-Aerobic, inklusive Poledancingstange für zuhause17, die Mode der mehr oder weniger offiziell bezeichneten „Nuttenstiefel“ oder die T-Shirts mit der Aufschrift „Porn-Star“, sollen in dieser Denkart ein Anzeichen für die endlich erreichte sexuelle Befreiung sein. „An die Stelle des Kampfes gegen sexuelle Belästigung ist der Kampf für sexuelle Befriedigung getreten“18 meint z. B. ein männlicher Besucher einer CAKE-Party.

Die ehemalige Pornodarstellerin Traci Lords bringt es gut auf den Punkt: „Als ich noch im Geschäft war, war Porno etwas fürs dunkle Hinterzimmer. Heute ist er überall!“ 19Ist damit das Ziel befreiter Sexualität erreicht?

Künstliche Körper, fake sex

Die heute omnipräsenten Bilder von Sex und Sexiness wirken auf Frauen aber nicht befreiend, in Gegenteil. Der soziale Druck sich den Schablonen anzupassen, kann sich in weiterer Folge sogar pathologisch auswirken kann (siehe APA-Report). Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es bei Raunch Culture weder um echte Befreiung noch um echten Sex geht. Die Körperbilder, sind nicht nur stereotypisiernde, verdinglichende Schablonen, sie sind auch schlicht weg nicht real. Die Models sind operiert und geschminkt und die Fotos werden im Nachhinein bearbeitet. Hier wird ein Ideal produziert, das so nicht existiert. Digitale Medien verstärken diesen Trend und es kommt zu Übergängen zu virtuellen Idealen. Beispielsweise hat Pro Sieben zur TV-Show „Germanys Next Topmodel 2“ ein Online Spiel herausgebracht, bei dem die Teilnehmerinnen in die Rolle eines potentiellen Topmodels (dargestellt mit den Gesichtern der Kandidatinnen aus dem Fernsehen) schlüpfen und diese nach dem „Sims“-Prinzip aufbauen müssen, d.h. ins Fitness-Center gehen, Laufsteg-Training absolvieren, sich richtig ernähren usw. Natürlich gibt es auf der Homepage20 auch Tipps, wie Mädchen diese Dinge im realen Leben am besten machen. Aber auch mit der eisernsten Disziplin, niemand kann jemals so aussehen wie die Computer Figuren.
Auch die Sexualität, die uns gezeigt wird ist „fake sex“. So gibt es Aussagen von Poledancing-Turnerinnen, die als Nachteil dieser Form der sportlichen Ertüchtigung die blauen Flecken anführen, die das Tanzen an der Stange hinterlassen oder Berichte von Teilnehmerinnen von „Girls gone Wild“21 die das Herumknutschen mit ihren (heterosexuellen) Freundinnen als weniger prickelnd empfanden und damit nur klischeehafte Männerphantasien befriedigen. Bei der neuen Sexiness geht es um das Vortäuschen von Lust, eine Frau die wirklich sexuell erregt ist, macht ganz andere Gesichtsausdrücke als Christina Aguilera in ihren Videos. Das Phänomen Raunch Culture bringt nicht einfach ans Tageslicht, was sich tatsächlich „in den Schlafzimmern“ abspielt, es zeigt uns ein ganz bestimmtes irreales und unerreichbares Bild von Sex und Körperlichkeit. Hier gibt es keinerlei Kontinuität zur sexuellen Befreiung der 68er Bewegung.

Körperbilder und Neoliberalismus

Das spezifische Körperideal, mit dem wir heute konfrontiert sind, ist also kein Abbild real existierender Körper. Körpererleben ist von der Kultur, als Teil eines herrschenden Systems, vermittelt. Es gibt kein „natürliches“ Körperempfinden. Gesellschaftliche Machtstrukturen sind in die jeweils vorherrschenden Körperideale eingeschrieben22. Der Neoliberalismus, als Rekonfiguration des Kapitalismus modifiziert auch die Körperbilder nach seinen Idealen.Körperlichkeit erfährt im Neoliberalismus eine Aufwertung. Es geht um perfekte, um bearbeitete Körper. Diese Prämisse enthält mehrere Aspekte.

Funktionalität und Konformität

Die Körper müssen funktionieren. In einer Zeit steigender Arbeitslosigkeit und Unsicherheit darf der Körper keine Funktionsdefizite aufweisen. Außerdem darf er auch in der Erscheinungsform nicht von einer bestimmten Norm abweichen. In dieser Norm sind Selbstdisziplin und Eigenoptimierung verkörpert. Wer sich nicht engagiert einem Körperideal nachzueifern, ist einfach kein eifriger Mensch. Wer sich weigert, sich der Konformität der Körperkultur unterzuordnen, kann sich nirgends unterordnen. Und wer sich bemüht und es trotzdem nicht schafft, der schafft vielleicht überhaupt nichts im Leben.

Körper und Sex als Kapital

„Dein Körper ist dein Kapital.“ sagt Heidi Klum, eines der erfolgreichsten Models der Welt und Autorin des Buches „Heidi Klum’s Body of Knowledge: 8 Rules of Model Behavior (to Help You Take Off on the Runway of Life)“23
. In diesem Stadium des Kapitalismus, in dem das Erschließen neuer Märkte die wichtigste Herausforderung geworden ist, ist einfach alles käuflich. Körper sind für viele Frauen zur Investition geworden. Sie stecken Geld und Arbeit hinein und hoffen auf gute Erträge, sowohl am Arbeits-, als auch am Beziehungsmarkt. Klar ersichtlich ist dieses Prinzip bei Internet Single-Börsen. Jede hofft „einen guten Schnitt zu machen“, sich nicht „unter Wert zu verkaufen“, usw.

Wettbewerbslogik und Körperklassen

Natürlich geht es auch bei den Körperlichkeiten um Superlative. Wer den schönsten, schlanksten, sexisten Körper hat entscheidet scheinbar einzig und allein der freie Wettbewerb. Eine Reihe von TV-Formaten, à la „Germany’s Next Topmodel“ zeigen es vor. Jede kann es schaffen vom Cover der nächsten Cosmopolitan zu strahlen. Die Konkurrenz ist natürlich. Es kann nur Eine geben. Aber wer gewinnt, entscheiden die, die schon auf der Gewinnerseite stehen. Natürlich muss auch beachtet werden, dass das perfekte Aussehen Geld kostet. Fitness-TrainerInnen, ErnährungsberaterInnen und SchönheitschirurgInnen sind nicht für jede leistbar. Menschen in diesen Berufen müssen auch an sich arbeiten, sie machen vor dass es funktioniert (z. B. die Ernährungsberaterin von „Du bist was du isst“ auf ATV), es braucht nur den Willen und das nötige Kapital.

Pseudo-Wahlfreiheit

Es gibt noch etwas, das frau wissen muss, bevor sie sich in den Kampf wirft: DU musst dich dafür entscheiden. Angeblich haben wir die Wahl, niemand zwingt dich gut auszusehen. Es gibt keine Bekleidungsvorschriften mehr, angeblich ist auch in der Mode jetzt alles erlaubt, aber warum sehen dann nicht nur die Frauen in den Modemagazinen, sondern auch die auf der Straße alle so verdammt gleich aus? In vielen Magazinen gibt es die Dos and Don’t Seiten, wer sich auf der don’t Seite findet ist zumindest äußerst peinlich berührt. Bloßstellen statt sanktionieren. Angeblich können sich Frauen heute frei entscheiden, für Beruf, Familie, Beziehungskonstellation, Produkte die sie kaufen, usw. Aber bei genauerer Betrachtung ist die Wahlfreiheit gar nicht so groß und hinterlässt nur das Gefühl, selbst schuld zu sein, wenn der gewählte Weg keinen Spaß macht. Und keinen Spaß zu haben ist auch keine Option.

Kapitalismus schluckt und spuckt

Wir können also sagen, dass jene Fortschritte der sexuellen Befreiung, die bereits erkämpft waren zu vielen Teilen wieder von der kapitalistischen Kultur zurückerobert wurden sind. Dabei handelt es sich aber nicht einfach um einen konservativen Backlash. Mainstream-Kultur und kritische Auseinandersetzung stehen in einem dynamischen Verhältnis zueinander. Ein Beispiel dazu ist etwa auch die „Riot-Grrrl“-Bewegung in den 1990ern. Ausgehend von Wut gegen die Unterdrückungsmechanismen des (patriarchalen) Systems mit seinen konservativen Werten wurde von jungen Frauen eine Bewegung gegründet, die sich auf ironische Weise eine eigene Weiblichkeit gründete. Bisherige Frauenbilder wurden übertrieben inszeniert, frauenfeindliche Ausdrücke (chicks, bitch, …) aufgenommen um den konstruierten Charakter von Weiblichkeit aufzuzeigen, indem er lächerlich gemacht wurde. Damit einhergehend entstanden neue Möglichkeiten ein eigenes Weiblichkeitsbild zu finden, das sich nicht an den gesellschaftlichen Erwartungen orientierte. Der Refrain eines Punksongs lautete etwa: „Die Leute sagen, kleine Mädchen soll man sehen und nicht hören. Aber ich sag …Steckt euch die Fesseln in den Arsch!“
Bald erweckte die Riot-Grrrl-Bewegung das Interesse der Medien. Das Bemühen der Aktivistinnen, nicht kommerzialisiert zu werden, blieb erfolglos. Massenmedien gelang es, aus der emanzipatorischen Protestbewegung den „Girlie-Style“ zu extrahieren, der natürlich keine politischen Inhalte transportierte. Die von den jungen Frauen ironisch übertriebene „Weiblichkeit“ fand sich in Popkanälen wie MTV als süßer Modestil wieder. „Girl-Power“ konnte nun in den Geschäften erstanden werden, Protest und Selbstfindung war nicht mehr nötig. Die „Girlies“ fanden sich einmal mehr als männliche Projektion im Lolita-Kleidchen wieder: klein, frech, anhänglich und vor allem sexuell anziehend.24
Diese Aufnahme und Umdeutung fortschrittlicher Ideen ist kein auf das „Frauen-Thema“ isoliertes Phänomen. In einem anderen Zusammenhang theoretisieren Boltanski und Chiapello (1999)25 die Tendenz im Kapitalismus, dass progressive Forderungen und Kritik in den herrschenden Diskurs aufgenommen werden: „Auch wenn der Kapitalismus nicht ohne eine Allgemeinwohlorientierung als Quelle von Beteiligungsmotiven auskommen kann, ist er aufgrund seiner normativen Unbestimmtheit doch nicht dazu im Stande, den kapitalistischen Geist aus sich selbst heraus zu erzeugen. Er ist auf seine Gegner angewiesen, auf diejenigen, die er gegen sich aufbringt, und die sich ihm widersetzen, um die fehlende moralische Stütze zu finden und Gerechtigkeitsstrukturen in sich aufzunehmen, deren Relevanz er sonst nicht einmal erkennen würde.“26 Ergänzend soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass es dem Kapitalismus vor allem dann gelingt sich kritische Ansätze einzuverleiben, wenn diese Kritik nicht (mehr) im Kontext realer politischer Auseinandersetzungen steht. Wenn Begriffe zu leeren Worthülsen ohne (klassen)kämpferischen Rückhalt werden, ist es umso leichter sie von der anderen Seite her zu besetzen und umzuinterpretieren.

Wessen Körper ist das hier?

In einer Zeit, in der vieles sich schnell verändert, nix fix zu sein scheint und wir oft das Gefühl der Ohnmacht empfinden, liegt es nahe, den Körper als das letzte Eigene, Unberührte und Vertraute zu verstehen. Wie in diesem Artikel aber gezeigt wurde ist Körperlichkeit in unterschiedlichen Facetten lange nicht mehr die letzte freie Bastion ohne kapitalistischen Zugriff – im Gegenteil, was wir essen und wie viel, wie wir aussehen, was wir gut und ansprechend finden und wie wir unsere Sexualität leben ist offenbar auch Teil kapitalistischer Verwertungslogik.
Als Konklusion und Ausblick schreibt Ariel Levi über die Sexuelle Befreiung, die wir meinen: „Frauenbefreiung und Emanzipation sind Begriffe, die Feministinnen verwendeten, um Grenzen aufzubrechen und Gleichberechtigung zu fordern. Wir haben diese Begriffe pervertiert. Die Freiheit, sexuell provokativ oder promiskuitiv zu sein ist nicht genug Freiheit; es ist nicht die einzige „Frauen-Frage“ die Aufmerksamkeit verdient. Und wir sind nicht mal im sexuellen Bereich frei. Wir haben nur eine neue Norm übernommen, wir spielen die Rolle der munteren vollbusigen Exhibitionistin. Wir können uns anders entscheiden. Wenn wir uns wirklich sexuell befreien wollen, müssen wir Raum schaffen für eine Bandbreite von Möglichkeiten so unterschiedlich wie das menschliche Begehren selbst. Wir müssen uns die Freiheit nehmen herauszufinden, was wir wirklich von Sex wollen, statt die Sexiness-Vorgabe der Popkultur zu imitieren. Das wäre sexuelle Befreiung.“27
Können wir das, uns einfach anders entscheiden? Oder handelt es sich dann nicht wieder nur um die weiter oben beschriebene Pseudo-Wahlfreiheit? Zentral an diesem Satz von Ariel Levi ist für uns weniger das entscheiden als das wir. Um zu verhindern, dass der Kapitalismus unsere Kritik schluckt, müssen wir Viele sein. Damit die neoliberalen Körperbilder nicht als das einzig Schöne erscheinen, müssen wir laut sein. Isoliert kämpfen führt in die Sackgasse. In dieser Hinsicht muss das scheinbar Private wieder politisch werden.

Anmerkungen

1 „Du kannst gegen die Wand rennen, um einen Beziehungspartner zu finden, oder einfach losziehen und Sex haben wie ein Mann.“
2 http://www.sexandthecity.de/
3 „Sag mir, was du von mir hältst, ich kauf mir meine eigenen Diamanten und meine eigenen Ringe, ruf dich nur an, wenn ich mich einsam fühle, und wenn´s dann vorbei ist, bitte steh auf und geh…“
4 http://artists.universal-music.de/pussycat_dolls/
5 American Psychological Association, Task Force on the Sexualization of Girls: Report of the APA Task Force on the Sexualization of Girls, Washington 2007, www.apa.org/pi/wpo/sexualization.html
6American Society of Plastic Surgeons: 2000, 2004, 2005 national plastic surgery statistics: Cosmetic and reconstructive procedure trends, 2006, www.plasticsurgery.org
7Die amerikanischen ForscherInnen sprechen von einer rückläufigen Entwicklung bei der Verwendung von Kondomen unter Jugendlichen. In Österreich ist die Quote in den letzten Jahren ungefähr gleich bleibend. Nähere Angaben: Kromer, Ingrid: Jugendsexualität in der empirischen Forschung, 2002, https://www.wien.gv.at/who/jugendgb/2002/doc/jugendsexualitaet.doc
8 Morgan, Robin: Going Too Far: The Personal Chronicle of a Feminist, 1974, zit. nach Levi, Ariel: Female Chauvinist Pigs. Women and the Rise of Raunch Culture, London 2005, S. 61.
9Literatur dazu etwa McElroy, Wendy: A Woman’s Right to Pornography, New York 1995 oder MacKinnon, Catharine A.: Feminism Unmodified: Discourses on Life and Law, Cambridge 1987.
10Kullmann, Katja: Generation Ally – Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein, Frankfurt 2002.
11 Christie Hefner im Gespräch mit Ariel Levi. Levy: a.a.O., S. 39.
12raunchy = dreckig, schlüpfrig, scharf.
13Levi: a.a.O.
14Die Gründerinnen Emily Kramer and Melinda Gallagher nannten die Organisation so, weil es ist ein Slang Ausdruck für das weibliche Genital sei und nach „klebrig, süß, lecker und sexy“ klingt. Aus einem Interview für 20/20 auf ABC.
15Levi: a.a.O., S. 74.
16Ebd., S. 39.
17Siehe z.B. New York Times: „No Longer Taboo, Pole Dancing Unleashes Suburbia’s Wild Side“, 5.März, 2007.
18http://www.neon.de/kat/fuehlen/sex/1270.html
19Levy: a.a.O., S. 5.
20http://www.prosieben.de/lifestyle_magazine/topmodel/index.php
21US-Dokumentation diverser StudentInnenparties, z. B. Spring Break, bei denen die Mädchen für ein „Girls-Gone-Wild-Tank-Top“ vor der Kamera sexuelle Handlungen zeigen. Die Videos werden dann häufig im Internet zum Verkauf angeboten. Der rechtliche Hintergrund ist fraglich, nähre Infos dazu http://www.ftc.gov/opa/2003/12/girlsgonewild.htm
22Vgl. Kreisky, Eva: Neoliberale Körpergefühle: Vom neuen Staatskörper zu profitablen Körpermärkten. Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „Brüche – Geschlecht – Gesellschaft: Leibes/Übungen“ des Gender-Kollegs der Universität Wien, 15. Mai 2003.
23Heidi Klum’s Body of Knowledge: 8 Rules of Model Behavior (to Help You Take Off on the Runway of Life), auf Deutsch erschienen als „Heidi Klum. Natürlich erfolgreich“, 2005 im Krüger Verlag. Co-Autorin ist Alexandra S. Postman, Mitautorin eines Buchs über plastische Chirurgie.
24Vgl. Hahn, Christine: Die Geschichte von Riot-Grrrl-Revolution, in: Wir Frauen. Das feministische Blatt, 21:4 (2002), S. 6 f.
25Boltanski, Luc/ Chiapello, Ève: Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 1999.
26Ebd., S. 68.
27Levi: a.a.O., S. 200.





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