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Wenn es brennt
von Perspektiven Online

London’s Burning, und nicht nur das. Seit letztem Wochenende haben sich die Revolten über die Hauptstadt hinaus in zahlreiche Städte ausgebreitet, darunter Birmingham, Liverpool und Manchester. Ein paar Diskussionsanregungen aus der Perspektiven-Redaktion.

Politiker aller Couleur überschlagen sich vor Empörung über die „eindeutig kranken“, hirnlosen Kriminellen, während sie der Polizei im Schnellverfahren den Einsatz von Wasserwerfern und Gummigeschoßen genehmigen (was der britische Staat traditionell nur in seinen Kolonien tat) oder gleich über einen Armeeeinsatz in englischen Wohnvierteln räsonieren. Fragen dazu, warum die Unruhen ausgebrochen sind, weshalb sie sich so rasch und weit ausgebreitet haben und wofür die Menschen auf den Straßen von Tottenham und anderswo eigentlich kämpfen, werden so kurzerhand und unausgesprochen für illegitim erklärt. Dabei sind es gerade diese Fragen, die es zu klären gilt. Hier gibt es vier Diskussionsanregungen dazu:

1. Es geht um Rassismus. Ausgangspunkt und Anlassfall für die Riots im Londoner Stadtteil Tottenham war der Mord an Mark Duggan – das ist kein Zufall. Polizeibrutalität, zahllose unaufgeklärte Todesfälle in Polizeigewahrsam („Deaths in Custody“) und die permanente Erniedrigung durch rassistische Stop and Search-Methoden in armen, überwiegend von Nicht-Weißen bewohnten Vierteln hat den Hass auf die Polizei seit vielen Jahren angefeuert. Als mehrere hundert Schwarze BewohnerInnen von Tottenham vor einer Polizeiwache Antworten auf ihre Fragen zum Tod von Mark Duggan einforderten (zu Recht, wie sich nun herausstellte), reagierte die Staatsmacht wie gewohnt: Sie ignorierte die meisten und attackierte einige. Das nahmen die Leute nicht mehr hin.

2. Es geht um Klassenverhältnisse. Was in der Berichterstattung oft als „sozialer Hintergrund“ erwähnt wird, ist von überragender Bedeutung. Die Stadtteile, in denen die Unruhen ausbrechen, sind Sackgassen einer kapitalistischen gebauten Umwelt. Ein großer Teil ihrer BewohnerInnen ist arbeitslos oder jobbt als spätkapitalistisches Äquivalent eines Dickens’schen Tagelöhners. Zugleich liegen sie in einer der teuersten Städte der Welt und in einem Land, in dem seit 30 Jahren konservative und New Labour-Regierungen abwechselnd die sozialen Sicherungssysteme roden. Großbritannien wird für diesen Zeitraum eine anhaltend geringe soziale Mobilität bescheinigt, wobei die Schere zwischen Armen und Reichen stetig weiter auseinander klafft. Die enormen Einkommensunterschiede, Arbeitslosigkeit und Armut produzieren Generationen von Menschen ohne soziale Perspektive. Das gigantische Sparprogramm der Tory-Regierung wird diese Dynamik weiter verschärfen, und hat es teilweise bereits getan. Ähnlich wie bei den Aufständen in den französischen Banlieues oder den Revolten in Griechenland Ende 2008 bricht sich hier Wut über eine Klassenposition bahn, die ihren InhaberInnen nichts zu bieten hat als Angst, Orientierungslosigkeit und Langeweile.

3. Es geht um Selbstermächtigung. Was viele KommentatorInnen und MedienkonsumentInnen verstört, ist die Tatsache, dass während der Unruhen nicht bloß Lebensmittelsläden geplündert werden, sondern Jugendliche sich gleich mit neuen Handys, Jeans und Fernsehern versorgen – und dabei auch noch Spaß zu haben scheinen. In der BBC Newsnight beschwerte sich kürzlich die ehemalige Tory-Abgeordnete Edwina Curry, dass die Jugendlichen jeden Sinn für Richtig und Falsch verloren hätten; sie müssten endlich verstehen lernen: „What’s mine is mine, and what’s yours is yours!“ Und vielleicht steckt in ihrer Tirade ein wahrer Kern. Vielleicht verstehen viele Menschen in den Sackgassen des Kapitalismus nicht mehr, warum das was ihnen gehört so wenig und schäbig ist, während andere so viel besitzen. Nicht weil sie kulturlose Barbaren oder Kriminelle wären, sondern weil ihnen die materiellen Verheißungen der Marktwirtschaft ständig wie die Karotte vor die Nase gehalten wird, ohne dass sie ihnen jemals – auf legalem Wege – näher kommen könnten. In den Shopping Malls, auf Plakatwänden oder in den Händen der reichen Weißen ein paar U-Bahn-Stationen weiter ist buchstäblich Alles zahlreich vorhanden, und zugleich scheint es einer ganzen Gesellschaft als natürliche Ordnung der Dinge, dass die Armen und Nicht-Weißen dafür nicht vorgesehen sind. Die feministische Journalistin und Bloggerin Laurie Penny hat das auf den Punkt gebracht: „People riot because it makes them feel powerful, even if only for a night. People riot because they have spent their whole lives being told that they are good for nothing, and they realise that together they can do anything – literally, anything at all. People to whom respect has never been shown riot because they feel they have little reason to show respect themselves, and it spreads like fire on a warm summer night“

4. Was gilt es zu verurteilen? Die Boulevard-Medien übernehmen – wenig überraschend – das Wording der Regierenden in Großbritannien: Die Unruhen würden von „organisierten Kriminellen“ durchgeführt, ein „gieriger Mob“ ziehe durch die Straßen usw. usf. In Österreich fällt es dem Fellner-Schundblatt gleichen Namens zu, die abstoßendste Formulierung zu finden: „wie gefräßige Ameisen“ würden die Jugendlichen in die Supermärkte strömen um sie zu plündern. Mit welchem Insektengift man dieser Plage am liebsten Herr werden möchte, wird nicht verraten. Zugleich mischt sich in anderen Kommentaren die Empörung über die „unvorstellbare Gewalt“, die es zu verurteilen gälte, mit linksliberalem Einfühlungsvermögen: die Jugendlichen würden doch bloß ihren eigenen Communities schaden und überhaupt: was sollen Riots denn zum Besseren verändern? Diesem scheinheiligen Paternalismus gilt es entgegen zu halten: Wenn es etwas zu verurteilen gibt, dann die Drecksverhältnisse, in denen Menschen leben müssen, während gleichzeitig in der Londoner City Männer mit vierstelligen Monatsgehältern gerade wieder die Weltwirtschaft gegen die Wand fahren. Die „unvorstellbare Gewalt“ richtet sich vor allem gegen die gebaute Umwelt, die ihnen ein Gefängnis ist, nicht gegen Menschen. Sie betrifft nicht nur die Stadtteile in denen sie selbst leben, sondern auch die poshen Spots der Londoner Upperclass, die plötzlich mit der Existenz eines sonst unsichtbaren urbanen Proletariats konfrontiert wird und daraufhin in der Financial Times schockiert feststellen muss: „Der Mob griff das beste Restaurant in Notting Hill an!“ Und auf die Frage was es bringt fand ein Jugendlicher in einem Live-Interview eine entwaffnende Antwort: „You wouldn’t be talking to me now if we didn’t riot, would you?“ Oder wie es die Berliner Rapper K.I.Z. schon vor zwei Jahren ausdrückten: „Vielleicht fällt das Licht auf dein Viertel wenn es brennt?“





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