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Die vielen Gesichter Mao Zedongs
von Daniel Fuchs

Rezension: Wemheuer, Felix: Mao Zedong. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch Verlag
2010, 160 Seiten € 9,20

Ob als Personifikation eines vermeintlichen Gegenmodells zur Sowjetunion Stalins oder als sadistischer, sexbesessener Tyrann – kaum ein anderer Politiker des 20. Jahrhunderts rief eine derartige Vielzahl an unterschiedlichen Interpretationen und Projektionen hervor wie Mao Zedong. Doch wer war Mao denn nun?
Dieser Frage widmet sich der Sinologe Felix Wemheuer mit seiner 2010 (in rotem Umschlag!) erschienenen Biographie des „Großen Vorsitzenden“ auf äußerst anregende Art und Weise. Der Autor reflektiert nicht nur, dass eben genannte und darüber hinaus gehende „Interpretationen mehr über den Zeitgeist im Westen aus[sagen] als über Mao selbst“ (9), sondern argumentiert bereits eingangs, dass die Suche nach dem einen, „wirklichen“ Mao Zedong kaum zu leisten sei. Das Ziel Wemheuers liegt vielmehr darin, „die Entwicklung eines der widersprüchlichsten und schillerndsten Revolutionäre des 20. Jahrhunderts“ (14) nachzuzeichnen und somit die vielen Gesichter Mao Zedongs herauszuarbeiten.
Hierfür widmet sich der Autor in den ersten beiden Kapiteln vor allem der Frage, wie und warum der 1893 in der Provinz Hunan geborene Sohn einer relativ gut situierten Bauernfamilie zum Führer der chinesischen Revolution aufsteigen konnte. Ausführlich beschreibt Wemheuer Maos „Odyssee“ durch die ländlichen Gebiete Chinas während des chinesischen Bürgerkrieges und Kampfes gegen die japanischen Imperialisten, die ihn nachhaltig geprägt habe. Sowohl die innerparteiliche als auch die von sowjetischer Seite vorgebrachte Kritik an Maos „unmarxistischem“ Vertrauen in die bäuerlichen Massen verhinderten jedoch bis 1945, dass Mao sich auch offiziell als Führer der kommunistischen Bewegung Chinas etablieren konnte. Hervorzuheben sind die Abschnitte zum „Großen Sprung nach vorn“ (1958-61) und zur „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ (1966-76). Hier gelingt es Wemheuer sehr gut, herauszuarbeiten, „wie Mao in der Auseinandersetzung mit der chinesischen Gesellschaft seine Strategien und Ideen immer wieder modifizieren musste“ (13). Die Entscheidung Maos zur Massenkampagne des „Großen Sprungs“, in deren Mittelpunkt die radikale Kollektivierung der landwirtschaftlichen Produktion und der Aufbau von lokal betriebenen Schmelzöfen zur Stahlproduktion stand, sei in erster Linie als „Flucht nach vorn aus einer politischen und sozialen Krise der chinesischen Gesellschaft“ (87) ab Mitte der 1950er Jahre zu verstehen. Dass diese Politik jedoch im Desaster einer Hungersnot mit nach offiziellen Schätzungen 15 bis 45 Millionen Toten enden konnte, sei „[...] Maos größter Fehler und das größte Verbrechen seines Lebens“ (101) gewesen. Denn die Hungersnot hätte nie ein derartiges Ausmaß erreichen können, wenn Mao und die Parteiführung schon früher geeignete Maßnahmen ergriffen (und nicht etwa am Getreideexport festgehalten) hätten.
Auch in seiner Darstellung der Kulturrevolution betont der Autor den gesellschaftlichen Kontext und stellt sich – entgegen jenen AutorInnen, die diese auf einen innerparteilichen Machtkampf reduzieren – der Frage, weshalb ein beträchtlicher Teil der chinesischen Gesellschaft diese letzte Kampagne Maos euphorisch begrüßte. Dabei verweist er insbesondere auf die tiefen gesellschaftlichen Spaltungslinien, die zwischen Kaderkindern an den Universitäten und Nachkommen der ArbeiterInnen und Bauern sowie zwischen dem privilegierten Kern der Industriearbeiterschaft und den zu diesem Zeitpunkt bereits einen beträchtlichen Anteil ausmachenden KontraktarbeiterInnen aufbrachen. Einige Aspekte der kulturrevolutionären Umwälzung, wie die Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen, werden durchaus positiv eingeschätzt. Gleichsam betont Wemheuer aber auch die (nach 1969 zunehmend institutionalisierte) Gewaltexzesse, das Festhalten Maos an der Autorität der Partei sowie das Scheitern seines primären Ziels, noch vor seinem Tod eine neue soziale Basis und einen Nachfolger für die Fortführung der „permanenten Revolution“ zu finden.
Im abschließenden Kapitel nimmt der Autor eine Gesamtbewertung Maos vor, die sich an dessen eigenen Ansprüchen und Zielen orientiert. Der Aufbau eines unabhängigen Nationalstaates und die nachholende Modernisierung werden vor diesem Hintergrund als Erfolge bilanziert, während Wemheuer Maos selbst gestecktes Ziel einer sozialistischen Revolution als eindeutig gescheitert erklärt.
Mitsamt zahlreichen Bildern, einer übersichtlichen Zeittafel und Empfehlungen für weiterführende Literatur ist diese Biographie vor allem jenen zu empfehlen, die eine erste Auseinandersetzung mit Mao Zedongs Leben und der Geschichte der VR China suchen. Nicht zuletzt aufgrund der Verwendung bisher nicht zugänglicher Quellen und der überzeugend vorgetragenen Kritik an bisherigen Biographien sowie an innerhalb der „Linken“ noch weit verbreiteten Legenden ist die Publikation aber auch für „Fortgeschrittene“ lesenswert und stößt hoffentlich fruchtbare Diskussionen über die chinesische Revolutionsgeschichte an.





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