Artikel drucken Twitter Email Facebook

Altes und neues der Feministischen Staatstheorie
von Kristina Botka

Rezension: Ludwig, Gundula/ Sauer, Birgit/ Wöhl, Stefanie (Hg.): Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie, Baden-Baden: Nomos 2009, 217 Seiten, € 29,90

„Die Themen moderner Staatlichkeit und StaatsbürgerInnenschaft werden heute in der feministischen Politikwissenschaft so intensiv wie vielleicht noch nie diskutiert. Das ist zweifellos eine Konsequenz aus der Tatsache, dass sich trotz aller politischen Gleichstellungsbemühungen nur wenig Entscheidendes an der Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen geändert hat.“ (41) Mit diesem Statement von Gabriele Wilde im ersten Beitrag von Staat und Geschlecht ist die Notwendigkeit des Bandes schnell belegt.
Die Beiträge der zwölf Autorinnen – einleitend wird betont, dass dies der erste Band der Reihe „Staatsverständnisse“ ist, in dem nur Frauen publizieren, was die gegenwärtige Arbeitsteilung in der Staatstheorie abbildet, geht es doch um „Geschlecht“ und damit um eine „Frauenangelegenheit“ – bieten eine Zusammenschau zentraler Grundlagen feministischer Staatstheorie und -kritik der vergangenen 30 Jahre bis heute. Eva Kreisky und Marion Löffler erklären also etwa einmal mehr den Begriff des Maskulinismus im Staat, Gundula Ludwig das hegemonie- und gouvernementalitätstheoretische Staatsverständnis und die Folgen für die Frage des Subjekts. Auch werden Themen wie die Debatte um den Geschlechtervertrag (Nichtregulierung des „Privaten“), Recht und Staat (Verbündete im Bemühen um Gleichstellung?), Gewalt (Birgit Sauer plädiert für einen „weiten Gewaltbegriff […] um die Vielfältigkeit geschlechtsspezifischer Bedrohungs- und Unsicherheitslagen von Frauen […] in den Blick zu bekommen“ [62]) und die Transformation von Staatlichkeit diskutiert.
Der zweite Teil des Buches, „Aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie“ betitelt, behandelt viele im geistes- und sozialwissenschaftlichen Kontext noch wenig berücksichtigte Felder, und hier wird es auch für bereits in die Materie Eingelesene spannend: Feministische Ökonomie, europäisches Regieren, transnationale Frauenbewegungen, Entwicklungen von Wohlfahrtsstaaten, Fortpflanzungspolitik und schließlich Staatlichkeit und Intersektionalität bieten einen breiten Zugang, welcher die Vielschichtigkeit feministischer Staatstheorie sehr prägnant demonstriert und konkreten Aktualitätsbezug herstellt. Die von den Herausgeberinnen getroffene Auswahl der Autorinnen verspricht nicht zuviel: Gülay Caglar etwa arbeitet zu „Gender und Globalisierung“ an der Berliner Humboldt Universität, es findet sich eine Rechtsphilosophin neben einigen Politikwissenschafterinnen, Susanne Schultz ist Redakteurin beim Gen-ethischen Netzwerk e.V. Berlin mit Schwerpunkt Humangenetik und Friederike Habermann ist politikwissenschaftliche Ökonomin und Historikerin.
Besonders positiv hervorzuheben ist der Beitrag von Susanne Schultz, „Zwischen Eugenik, Demografie und dem Management reproduktiver Biographien: spannungsreiche staatstheoretische Zugänge zu Fortpflanzungspolitik“. Darin werden Körperpolitiken einer politikwissenschaftlichen Analyse unterzogen, die bisher vernachlässigt wurde, obwohl die Macht des Staates über den Körper bzw. der Einfluss des Staates bis hin zum subjektiven Körper eigentlich kein gänzlich neues Terrain darstellen. Der Beitrag behandelt ein gerade wieder durch die parlamentarische Debatte um Präimplantationsdiagnostik aufflammendes Thema und stellt zugleich neue Zugänge dar, um die trotz aller Kritik an der Trennung des „privaten“ Lebens und des „öffentlichen“, sprich „politischen“ Bereiches auch in der feministischen Politikwissenschaft anzutreffende Gewichtung in traditionelle und unkonventionelle Themen zu unterlaufen. Schultz zeigt auf, dass feministische Staatskritik „mehr kann“ als die immer gleichen Kritikpunkte an der Arbeit von Frauengruppen in internationalen Institutionen darzustellen oder die oft getätigten Vergleiche von Wohlfahrtsstaaten und deren Geschlechterpolitik neu aufzurollen. „Um einerseits die Strukturiertheit staatlicher Biopolitik als Ganzes und andererseits die Offenheit und Konfliktträchtigkeit der Kämpfe auf staatlichem Terrain analysieren zu können“ (187), schlägt Schultz zwei staatstheoretische Optiken vor: „Eine Optik versucht, die Kämpfe um Fortpflanzungspolitik in ihrem Prozess und mit den unterschiedlichen Positionen und AkteurInnen und somit deren Offenheit und Konfliktträchtigkeit in den Blick zu bekommen. Und eine erfasst […] aufs Ganze blickend [und mit hegemonie- und diskurstheoretischen Werkzeugen ausgestattet], wie SprecherInnenpositionen im Feld des Staates Sinn ergeben, konstituiert sind und sich in ein hegemoniales Projekt einfügen“ (ebd.). Mit dieser Herangehensweise beschreibt Schultz drei staatstheoretische Stränge: erstens behandelt sie die biopolitische Grundstruktur moderner Staatlichkeit, wobei sie das Verhältnis zwischen der Verwaltung von Bevölkerungen als biopolitische Makroebene und der Politik der Beeinflussung individueller Körper und deren reproduktives Verhalten als biopolitische Mikroebene beschreibt. Letztere bedeutet etwa Politik um „das individuelle oder im heteronormativen Kleinfamilienmodell paarförmig organisierte reproduktive Verhalten“ (186). „Der zweite Zugang beschäftigt sich mit der Analyse unterschiedlicher Regime der Fortpflanzungspolitik“ (ebd.), und in der dritten Herangehensweise stellt sich die Frage: „Welche Selbsttechnologien, in unserem Fall welches ‚reproduktive Verhalten‘, wird auf der mikrobiopolitischen Ebene staatlich gefördert, gefordert und durchgesetzt?“ (187). Hier wird die Macht von Wissensordnungen und Fördermechanismen dargestellt, aber auch empirisch, soziologisch, ethnologisch oder kulturwissenschaftlich nach Aneignungsformen und Uminterpretationsstrategien der Individuen geforscht. Musterhaft zieht die Autorin Beispiele staatlicher Politik aus Deutschland zwischen 1995 und 2008 heran. Im Schlusssatz betont Schultz die Bedeutung von sozialen Bewegungen im Kampf um politische Verhandlungen, welche hier „schon lange vor akademischen Diskussionen über Biopolitik die[se] komplexen Verschränkungen der Fortpflanzungspolitik analysiert haben“ (195). Im Editorial des Buches wird der Anspruch betont, dass die Reihe „Staatsverständnisse“ des Nomos Verlages vor allem Studierende der Geistes- und Sozialwissenschaften ansprechen soll. Bei Staat und Geschlecht handelt es sich allerdings um Literatur für jene, die im universitären Umfeld noch nicht allzuviel über feministische Staatskritik gehört haben und wissen wollen, was diese in den vergangenen 30 Jahre geleistet hat. Wer in akademische Feminismen bereits eingelesen ist, wird zu Beginn des Buches kaum neuen Thesen begegnen – Überraschung wird aber, um fair zu bleiben, auch nicht als Zielsetzung der Herausgeberinnen für den ersten Teil genannt. Vielmehr soll hier auf zentrale „Begriffe, Theoreme und Problemstellungen feministischer Staatstheorie“ fokussiert werden (19). Der zweite Teil des Bandes stellt demgegenüber einige neue Themenkomplexe vor, die Lust auf eine tiefer gehende Beschäftigung machen. Eine solche kann Staat und Geschlecht mit den maximal sechzehnseitigen Beiträgen eindeutig nicht bieten. Es lohnt sich also, die jeweiligen Literaturlisten genauer durch zu schmökern.





Artikel drucken Twitter Email Facebook