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Kampf um die Stadt. Politik, Kunst und Alltag um 1930
von Michael Botka

Rezension: Sonderausstellung des Wien Museums, 19. Nov. 2009 – 28. März 2010

Das Wien Museum am Karlsplatz widmete sich vom 19. November bis zum 28. März 2010 in einer seiner bisher umfangreichsten Ausstellungen der gesellschaftlichen und politischen Situation in Wien um 1930. Im Zentrum standen dabei das Rote Wien der Sozialdemokratie und das Aufkommen der reaktionären und faschistischen Bewegungen im Kontext von Wirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit und Armut. Die Ausstellung faszinierte vor allem durch eine Vielzahl von Originalen aus den 1930er Jahren. Eine unglaubliche Fülle an Plakaten und Photos, aber auch einiger für die damalige Zeit typischer oder neuartiger Gegenstände wie Zapfsäulen, Leuchtreklamen oder Radios vermittelte der/m BesucherIn das Gefühl, in die Wiener 1930er Jahre einzutauchen.
Wie so oft jedoch, wenn politische Inhalte in einem bürgerlichen Rahmen vermittelt werden, war dies für ein politisch „vorbelastetes“ Publikum auch im vorliegenden Fall mit einigen Abstrichen verbunden. Am besten war die Ausstellung zu genießen, wenn man möglichst alle politischen Erwartungen und Ansichten hinten anstellte und sich „einfach“ unvermittelt auf das Präsentierte einließ – was bei diesem Thema zugegeben nicht so einfach ist.
Den historischer Rahmen der Ausstellung stellte einerseits das Rote Wien mit den bekannten Bildern von Massenaufmärschen, wehenden roten Fahnen und Menschen voller Hoffnung auf eine neue Zeit dar. Anderseits wurde die zunehmende Macht der Konservativen, Katholiken, des Adels, der Heimwehren und der Nazis thematisiert, also all jener, die vom „Weg in den Sozialismus“ nichts wissen wollten bzw. alles dagegen unternahmen, dass dieser eingeschlagen würde. Deren regelmäßige Aufmärsche und Kräftedemonstrationen sowie die Provokationen der Heimwehren brachten damals zwar die sozialdemokratische Basis zum Kochen, wurden seitens der sozialdemokratischen Führung jedoch nur mit Zögern und Ignoranz beantwortet. Auseinandersetzungen mit Schwerverletzten und Toten standen auf der Tagesordnung.
Für politisch Interessierte hielt diese Darstellung der Ereignisse der damaligen Zeit keine Neuigkeiten bereit. Die Ausstellung fokussierte jedoch ohnehin eher auf die Menge sozialer und technischer Veränderungen, in welche die Kämpfe zwischen Rot und Schwarz beziehungsweise Braun eingebettet waren. Der gesamte öffentliche Raum wurde rund um 1930 neu gestaltet und belebt. Der sich stark verändernde und rasant zunehmende Verkehr sorgte für eine vollkommene Umgestaltung des Lebens auf der Straße. Das Tempo erhöhte sich und in Konsequenz auch die Gefahren; der Lärm und der Geruch nahmen zu. Auch brachte etwa der neuartige Einsatz von Leuchtreklamen und den – gerade erst aufgekommenen – öffentlichen Lautsprechern große Veränderungen des Alltags der damals lebenden Menschen mit sich.
Bei vielen Rückblicken auf die 1930er Jahre werden diese tiefgreifenden Veränderungen häufig kaum bedacht. Diese Auslassung leistete sich Kampf um die Stadt nicht – vielmehr stand das Alltagsleben im Wien der 1930er Jahre im Zentrum der Ausstellung. Durch diesen Fokus wurde angenehmerweise auch der in der Geschichtsschreibung verbreitete Fehler vermieden, nur die Geschichte der Herrschenden zu erzählen.
Gerade weil aber der behandelte Zeitraum derart von Widersprüchen und Kämpfen geprägt war, hängt die Darstellung des Alltags sehr wohl auch davon ab, auf welcher „Seite“ man stand. Da es nicht im Interesse der KuratorInnen sein konnte, die subjektive Lebenssituation der aufkommenden Nazis oder des an Bedeutung schwindenden Adels nachvollziehbar zu machen, wäre es naheliegend gewesen, die Ereignisse aus den Augen eines/r glühenden Sozialdemokraten/in nachzuzeichnen. Eine Ahnung von der massiven Aufbruchsstimmung bekam man in der Ausstellung aber nur durch den Anblick der sozialdemokratischen (Wahl-)Plakate. Die angebotenen, von einem gelangweilten Ton getragenen Führungen durch die Ausstellung arbeiteten demgegenüber einer emphatischen Betrachtung der Ereignisse eher entgegen. Sie fügten sich durch entpolitisierte Ausführungen und den Erzählstil des „Experten“ nur zu gut in das gesamte Muster der Ausstellung.
Besonders deutlich war dies anhand einer Installation zu sehen, bei der in einem etwas verdunkelten Raum kurze Ausschnitte aus zeitgenössischen politischen Reden im Originalton zu hören waren. Dabei sollten die verschiedenen Redestile von Politikern anschaulich gemacht und gegenüber gestellt werden: der alte, die Massen überschreiende Stil im Gegensatz zum neuen, ruhig ins gerade erst aufkommende Mikrophon Sprechende. Dies ist zwar kein uninteressantes Phänomen, jedoch war der „technische“ Fokus allein auf den Redestil gelegt – es wurde nicht thematisiert, ob der Redner „Tod allen Juden!“ oder „Es lebe das Proletariat!“ schreit. Ein weiteres Beispiel für die entpolitisierte Herangehensweise der KuratorInnen. Insgesamt vermittelten die Darstellung und Aufbereitung der Themen und Ereignisse den Eindruck, als wäre zwischen den reaktionär-faschistischen und den linken und antifaschistischen Kräften kein Unterschied zu machen.
Auch der Versuch, die gesellschaftlichen Entwicklungen in einzelne, sauber von einander getrennte Themenbereiche und Ausstellungsräume zu unterteilen, wirkte aus einer politischen Perspektive nicht geglückt, lassen sich doch gerade in einer so bewegten Zeit gesellschaftliche Themen nicht isoliert voneinander betrachten. Zudem herrschte die bedenkliche Tendenz vor, die Sozialdemokratie und die konservativ-reaktionären Kräfte in diesen Räumen anhand eines Schlagwortes auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen – um sie dann erst innerhalb dieses vage vorgegebenen Rahmens auf ihre Unterschiede hin zu untersuchen. Natürlich musste in der Gestaltung der Ausstellung wohl ein Kompromiss zwischen der detaillierten Darstellung der Kämpfe – auch in ihren Widersprüchen – und einer massentauglichen Aufbereitung der Inhalte gefunden werden.
Trotzdem war es bei der Führung manchmal zuviel des Guten: So endete diese im Raum zur „politischen Gewalt“. Als der Experte, der durch die Ausstellung führte, schließlich bei der Schilderung der Ereignisse rund um den Brand des Justizpalastes anmerkte, dass dies wohl die gewalttätigste Aktion „bis dato“ war, sank die Lust, den Ausführungen weiter zu lauschen, stark ab: „War da nicht kurz vorher ein Weltkrieg?“ Noch eine kurze Geschichte zu einem Einschussloch in einem Pokal musste man über sich ergehen lassen, und es war überstanden. Im kurzen Schlagabtausch mit einer anderen Besucherin darüber, ob und wie entpolitisiert man diese Ereignisse darstellen darf/kann, bzw. wie sehr BesucherInnen mit gewissen Darstellungsweisen „indoktriniert“ oder doch eher nur „konfrontiert“ werden, wurde indes klar, dass die gewählte Darstellungsweise der Ausstellung durchaus auch ihr Publikum hat.
Das Buch zur Ausstellung hingegen ist jeder/m nur wärmstens zu empfehlen. Darin enthalten sind nicht nur die Fotos aller(!) Ausstellungsstücke – was besonders aufgrund der großen Anzahl von Plakaten und Fotos imponiert – sondern auch eine Menge an Text in Form von Erklärungen, Erzählungen, Berichten und Statistiken. Auf knapp 600 Hochglanzseiten findet die/der Interessierte eine Unmenge an Material zum gemütlichen Schmökern, Studieren und Wundern vom Sofa aus… ganz ohne langweilige Expertisen, im Weg stehende Menschen und Rauchverbot. Nicht zuletzt wird hier auch abseits aller politischen Nivellierungen der Ausstellung die bremsende und kalmierende Rolle der sozialdemokratischen Führung im Kampf gegen die aufkommenden FaschistInnen aktiv thematisiert.





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