Die Uni brennt! Maria Asenbaum, Katharina Hajek, Michael Botka und Ako Pire haben mit AktivistInnen im und um das Audimax gesprochen. Entstanden ist eine Momentaufnahme, in der die unterschiedlichen Blickwinkel, aber auch der gemeinsame Enthusiasmus zum Ausdruck kommt.
Mitte Oktober fanden, ausgehend von der Akademie der bildenden Künste, die größten Studierendenprosteste seit 1997 in Wien und ganz Österreich statt. Tausende Studierende haben über Monate hinweg verschiede Universitäten besetzt gehalten, sich selbst organisiert, Arbeitsgruppen gegründet, eine eigene Infrastruktur aufgebaut, gemeinsam gekocht und geputzt und die größte Demonstration seit der Anti- Schwarz-Blau-Bewegung 2000 auf die Beine gestellt – die bürgerlichen Medien sprachen sogar von einem „Hauch von 68, der durch die Universitäten Österreichs zieht“. Da sich die Bewegung vor allem auch durch ihre Heterogenität ausgezeichnet hat, war es uns ein Anliegen, keine Analyse von außen zu verfassen, sondern als am Protest beteiligte Personen andere AktivistInnen selbst sprechen zu lassen. Wir haben zehn – aus verschiedenen Studienrichtungen kommende, mehr oder weniger lang politisch aktive – TeilnehmerInnen der Proteste interviewt und sie nach ihren Beweggründen, Zielen, Eindrücken und Meinungen gefragt.
„Wir besetzen das jetzt!“
„Hammer! Überraschend, komplett überraschend. Ich glaub’, keineR von uns hätte damit gerechnet, dass es abends so voll ist. Wir dachten, wir machen eine symbolische Besetzung … KeineR hätte sich gedacht, dass wir da länger drin bleiben als eine Nacht, beziehungsweise haben wir damit gerechnet, dass wir am selben Tag wieder rausgehen. Und das, was dann passiert ist, war eindeutig die Explosion eines politischen und eines persönlichen Unbehagens, das eigentlich schon lange geschwelt hat, aber der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, war einfach da.“ Wie wohl die meisten Leute, hat auch der Großteil der von uns interviewten Personen via SMS von der Audimax-Besetzung erfahren. Anna1: „Ich hab’ am Donnerstag Nachmittag der Besetzung, so um vier, ein SMS bekommen und bin dann hin. Meine Mitbewohnerin war auch schon bei der Demo und ist mit rein gegangen.“ Viele waren zwar etwas verwirrt, aber doch überwältigt: von den vielen Menschen, dem hohen Aktivitätslevel, der Ausdauer und der Tatsache der Besetzung an sich. Anna: „Ich war total geflashed. Es war total riesig! Es waren sooo viele Leute, ich war total beeindruckt! Ich hätte es mir nicht vorstellen können, wenn mir das vorher wer erzählt hätte. Ich hätte die für verrückt erklärt.“ Spontane „Moblisierungsgruppen“ zogen durch die Uni. So hat Sarah gerade auf der Bibliothek gelernt, als sie Rufe hörte: „Mitmarschieren, solidarisieren!“ und ist neugierig hinausgegangen. „Das waren vielleicht so 200 Leute oder so und ich hab keine Ahnung gehabt, was das jetzt ist … und alle sind ins Audimax und da ist dann beschlossen worden, okay, wir besetzen das jetzt, wir kämpfen jetzt für eine bessere Bildung … Das ganze Audimax ist so euphorisch, ja, euphorisch, dass da jetzt was passiert und dass wir jetzt, einfach wir, die ‚mickrigen Studenten‘ bestimmen, wir besetzen das jetzt und wir tun jetzt was.“ Oguz, der damals erst seit „ein, zwei Wochen in Wien“ war, hat über den Mail-Verteiler der Akademie der Bildenden Künste von der dortigen Besetzung erfahren, ist hingegangen und hat „am Mittwoch noch geholfen, Flyer zu verteilen und am Donnerstag war ja dann die Demo. Also ziemlich zufällig alles … es hat mit relativ wenig Leuten, so 200, 300 an der Votiv-Kirche angefangen und als wir im Audimax drinnen waren, wars komplett voll! … Ich hab’ dann gedacht, ‚ah ja, so ist es immer in Wien und in Österreich … nicht schlecht, hier geht was‘!“ Andreas beeindruckte die Stimmung im Audimax-Gang, welchen er von seiner „Studienanfangszeit“ „als den ganz gemütlichen heruntergekommenen Audimax-Gang“ kannte, der sich veränderte und „im Laufe der Jahre wurde das dann dieser ‚schöne‘ Schaukasten-Wirtschaftskarriere-Poster- hängende“ Ort. „Und man geht wieder hinein und es ist alles verraucht (*lacht*). Es war ein schönes Gefühl: so viele Leute und alle waren interessiert, was da passiert und alle möglichen sind ans Mikropult und haben ihre Meinung sagen können … Es hat mich wachgerüttelt. Es waren viele Leute, es war irrsinnig laut … Man hat ja gar nicht gewusst, wo man hin will. Und das ist aus den Aussagen auch rausgekommen, dass jeder so ein bissl wo anders hin will. Ja… aufgewühlt und selbst nicht so gewusst wo ich bin… hab’ dort so als Stimmung erfahren, dass total viel möglich ist … Es war aber gleichzeitig auch ein bisschen beängstigend, weil irgendwie alles in Frage gestanden ist… also der normale Studienalltag.“ Gio, der von einer Freundin via SMS zur Besetzung mobilisiert wurde, hat sofort Getränke und Essen gekauft und ist hingefahren. „Dann hat’s Probleme gegeben, dass ich überhaupt rein komm’, weil an dem Tag waren Polizisten dort und haben alles abgesperrt“. Es „hat eine Zeit gedauert bis ich rausgefunden hab’, um was es geht und was die Forderungen sind. Wie gesagt, ich bin das erste Semester in Wien. Da könnte man sich denken ‚Erstsemestrige wissen noch gar nicht, um was es geht‘. Aber als Theater- und Film-Student hab ich eben viel mitgekriegt, wo die Probleme liegen und meiner Meinung nach muss man gar nicht Student sein, um sich zu solidarisieren und dahinter zu stehen.“
„In welcher Form bringst du dich hier ein?“
…war die zweite Frage, die wir gestellt haben. Dabei sind wir mit enorm vielen verschiedenen Motivationen und Begründungen, warum wer gerade wo mitarbeitet, konfrontiert worden. Ein guter Teil der Aktionen kam zufällig und spontan zustande, weil jemand gerade zu einer bestimmten Zeit am richtigen Ort eine Idee hatte und diese dann auch umsetzen wollte. Andere waren von momentaner Lust und Laune motiviert und wieder andere haben sich genau überlegt, wie und wo sie ihre Ressourcen am optimalsten einsetzen können. Eine Erfahrung, die alle Beteiligten gemacht haben ist, dass die Betätigungsfelder sich immer verändert haben und jedeR in ständiger Bewegung war. Tausende, Lehrende und andere solidarische Personen haben sich in weit über hundert Arbeitsgruppen (AGs) eingebracht, Workshops und Veranstaltungen organisiert, haben Versorgung, Infrastruktur, Pressearbeit, bis hin zu psychischer Betreuung bereit gestellt und ein unüberschaubares Konglomerat aus AktivistInnen und Aktivitäten gebildet. Für die Unzahl an unterschiedlichen Arten, wie sich Menschen in die Bewegung eingebracht haben, wollen wir einige Beispiele für sich sprechen lassen. Gio: „Ich hab’ die ersten Nächte nur als DJ gearbeitet, und da war Soli-Party bis tief in die Nacht und unglaublich viele Betrunkene und Randale und Beschmierereien. Dann hab ich mich in die AG [Abendgestaltung] eingebracht. Ich hab’ versucht, die Leute zu überzeugen, dass wir das Partygeschehen ein bisschen runter schrauben, dass das Audimax nicht zu der Party-Location in Wien wird.“ Oguz war vor allem in der „AG MigrantInnen und ArbeiterInnen“ aktiv: „Unsere Haltung ist in erster Linie anti-kapitalistisch, deswegen heißen wir ja auch „AG MigrantInnen und ArbeiterInnen”, weil die meisten, die aus Nicht-EULändern hier her migrieren, vor allem auch Studierende, dazu gezwungen sind, unter prekären Bedingungen zu arbeiten. Und die kriegen auch keine Arbeitserlaubnis und deswegen haben wir uns so genannt.“ Diese AG brachte vor allem „Forderung migrantischer Gleichberechtigung“ ein, gegen „diese vielen Diskriminierungen gegen Nicht-EU-Bürger… dass Studierende aus Nicht-EU-Ländern immer noch Studiengebühren zahlen, früher das Doppelte. Keine Arbeitserlaubnis; um das Visum zu verlängern, musst du jedes Jahr 7200 Euro auf dem Konto haben und das wird jetzt auch diskutiert, dass man das Geld auch nicht sofort wieder abziehen darf, sondern dass das ein paar Monate drauf bleiben muss.“ Felix hat sich vor allem im Rahmen der „Squatting Teachers“ eingebracht: „Eine AG, die einerseits auf einer sehr konkreten Ebene organisiert, dass Lehrende, die sich einbringen möchten, auch wirklich mit Audimax, C1 und TU in Kontakt treten können und dass das wirklich passiert. Andererseits wollten wir uns allgemeiner mit der Frage ‚wie könnte kritische, emanzipatorische Wissensproduktion und Wissensvermittlung aussehen?‘ beschäftigen.” Anna ging es, wie so vielen anderen auch, so, dass sie hin und her gerissen war. „Gleich am Anfang hab’ ich eigentlich ein bisschen Info-Tisch gemacht, und dann war ich bei der AG Räume … am ehesten bin ich bei der AG Programm, obwohl ich das schon länger nicht mehr mach’. Aber wenn ich da bin, dann werd’ ich noch immer mit dieser AG identifiziert und mach’ deren Arbeit. … Ich studier’ Jus und hab’ am Juridicum in der AG mitgearbeitet. Sonst mach’ ich halt, was so anfällt, für Aktionen, Gesprächsvorbereitungen, da was checken… und so weiter. Auch in der neuen Presse-AG mach’ ich wahrscheinlich mit.“ Sie schildert eine für viele AktivistInnen all zu bekannte Situation: „Gestern war der erste Tag, an dem ich gar nicht da war. Die ersten Wochen habe ich alle drei Tage mal zu Hause geschlafen, aber sonst war ich nicht zu Hause.” Was die Hyperaktivität mit sich gebracht hat, zeigt auch der „Fall der AG Programm. Da war grad ein bisschen Flaute und die zwei, die das gemacht haben, waren ausgebrannt und die waren dann weg. Da gab’s dann eine neue AG und da bin ich hin. Info-Tisch war auch ähnlich. Da ist das Mädl gestanden und hat gemeint ‚oh Gott, oh Gott, wir brauchen Leute! Hilfe! Dableiben!‘“ und das hat Anna auch gemacht. Sie findet es selbstverständlich, sich überall einzubringen, wo gerade jemand gebraucht wird: „Wenn man so lang da ist, merkt man, wo Leute fehlen. Irgendwann gibt es halt niemanden, der das Plenum macht und dann machst halt mal das Plenum, oder was grad anfällt.“
„Überrollt von den Ereignissen“
Als nächstes hat uns interessiert, wie der Einfluss der Tätigkeiten der jeweiligen AGs auf die Bewegung eingeschätzt wird. Gio der sich in die Gestaltung des Abendprogramms eingebracht hat, meint diesbezüglich: „Ich würd’ schon sagen, dass durch das Abendprogramm Leute angelockt wurden, die sich sonst nicht beteiligen würden … Am Anfang war’s nicht so stark. Aber zum Beispiel mit Ja, Panik! und Luise Pop, also größeren Acts, ist der Einfluss schon vergrößert worden, weil’s dann doch ein wichtiger Punkt wurde, der in der Presse behandelt wurde.“ Außer den erwähnten AktivistInnen und UnterstützerInnen kann sich generell die große Anzahl an solidarischen ‚BesucherInnen‘ sehen lassen, die sich beteiligt haben: in Form von Vorträgen, Konzerten, Performances, oder einfach nur, um ihre Solidarität persönlich kund zu tun: Anti-Flag, Female Pressure, Hans Söllner, Josef Hader, Christian Felber, Klaus Werner Lobo, Corinna Milborn, Jean Ziegler, Alex Calinicos, Chanie Rosenberg, die KindergartenpädagogInnen des Kollektiv Kindergartenaufstand, Robert Menasse, Beat Weber, Hubsi Kramar, Florian Scheuba… Sarah erklärt, dass sich der Einfluss ihrer Psychologie-Instituts- AG verändert hat, weil sich die Bewegung „dezentralisiert“ hat: „Das Audimax war der Ausgangspunkt und das hat sich einfach geändert, dass es jetzt einfach mehrere Basisstellen gibt auf den Instituten … Deswegen finde ich es wichtig, dass da jetzt etwas passiert. Ich habe in sechs Jahren Studium noch nie so politische Leute kennen gelernt, auf der Psychologie, und das ist dann auch toll, die zu treffen.“ Lisa hat „das Gefühl, Einfluss zu haben, bis zu einem gewissen Grad.“ Letzteres erklärt sie folgendermaßen: „Aber nur, weil ich auch das Gefühl hab’, dass man diese Bewegung einfach nicht einschätzen kann. Diese Bewegung überholt dich immer wieder, du wirst überrollt von den Ereignissen und ich glaub’ auch, dass das eine Bewegung ausmacht, dass das einfach nicht so vorhersehbar ist, dass sie sich nicht vorne hertreiben lässt, sondern dich vorne hertreibt. Und ich glaub’, das ist das, was einfach so faszinierend ist: dass du einfach einen Abend nicht da bist und du kommst am nächsten Tag und es ist alles anders. Ob das jetzt gut ist oder schlecht ist, ist eine andere Frage. Aber ich glaube, dass die Bewegung so eine Dynamik hat, dass nie einzelne Personen oder Gruppen, AGs wirklich diese Bewegung vereinnahmen könnten, da sich die Menschen dagegen wehren würden… Als wir eben 2000 oder 3000 Leute, beziehungsweise über den Tag verteilt 10.000 Leute im Audimax hatten, da war das nochmal eine ganz andere Situation. Ich denk’, die Leute, die übrig geblieben sind, von den Personen, die am Anfang da waren, sind die Menschen, die sich vorher auch viel auseinandergesetzt haben. So denk’ ich, dass jetzt momentan Menschen, die sich mit den Perspektiven [der Proteste] auseinandersetzen, grade weil die Bewegung Perspektiven braucht, schon einen größeren Einfluss haben, als am Anfang.“ Auch Sebastian war es bald unmöglich, sich so intensiv wie am Anfang einzubringen: „Es war mir mit der Zeit, vom Arbeiten her, zu stressig. Ich hab das nicht mehr unter einen Hut bringen können. Es ist eine Zeit lang gut gegangen, nach einer gewissen Zeit hab’ ich mich dann wieder zurückziehen müssen, ich muss halt auch für die Berufsschule lernen.“ Reza hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Bezüglich der Arbeit der AG Iran, in der er sich engagiert hat, waren „die Rückmeldungen sehr positiv, auch von wildfremden Leuten, die … gemeint haben, das, was du zum Iran gesagt hast, war gut und spannend und spitze, und sie wollen bei der AG mitmachen, oder würden sich für ein Referat interessieren“. Angesprochen auf die Tätigkeiten der Organisation, in der er Mitglied ist – die Revolutionär Sozialistische Organisation (RSO) – und die auch im Audimax präsent war, meint er, dass es dazu „fast schon Anfeindungen“ gab und „dass teilweise sehr laute Stimmen gegen Organisiertheit aufgetreten sind. Würde aber auf keinen Fall sagen, dass die repräsentativ für die Bewegung sind.“ Bezüglich der Arbeit in den AGs – nicht zuletzt Uni-übergreifend – konnten ebenfalls Veränderungen festgestellt werden. So hält Michael für die Situation an der TU fest: „Es gibt definitiv AGs, die Einfluss ausüben, weil sie öffentlich sichtbar sind. Zum Beispiel die AG Protestwelle: wenn die eine Demonstration organisiert, oder Flyer macht, dann ist das ein sichtbares Ding. Was man im Moment wahrscheinlich nicht sieht, ist die Hintergrundarbeit von der AG Forderungen beziehungsweise von der AG Gesellschaftsbild/ Bildungsgesellschaft, welche wir auf der TU haben, und die eine extrem spannende AG ist. Das sind eher langfristige Zielsetzungen, die dabei verfolgt werden, und da muss man schauen, was in den nächsten Monaten an Output kommt… Das Ganze ist von einem Mobilisierungs-Charakter in einen Arbeits-Charakter gewandelt worden, wenn man das so sehen will.“
„Alle Macht den Arbeitsgruppen!’“
So unterschiedlich die Zugänge zu dieser Bewegung waren, so deutlich kristallisierte sich, zumindest dem Namen nach, ein Konzept von Demokratie heraus, das hier – gemäß der Meinung aller Interviewten – vorherrschte und den Charakter der Bewegung prägte: Basisdemokratie. Das Wort wurde von allen, bis hin zur bürgerlichen Presse und der Bundesregierung übernommen, und als ein wichtiges Charakteristikum der Bewegung herausgestrichen. Aber was ist unter Basisdemokratie genau zu verstehen? So viele Personen wir gefragt haben, so viele unterschiedliche Definitionen haben wir bekommen: von „wenn keine bestimmte Person über anderen Personen steht“ über „die Möglichkeit eines konstanten Diskurses“ und „dass man seine Meinung äußern kann“ bis hin zu „Individualterrorismus, … dass jeder, dem’s halt nicht passt ein Veto einlegen kann“. Besonders wichtig dabei sei, dass „jeder Einzelne bei allen Entscheidungen ein Mitentscheidungsrecht hat“, meinte zum Beispiel Sarah von der Psychologie, beziehungsweise, dass „die Menschen, die an einer Entscheidung beteiligt sind, am Ende auch das Gefühl haben, dass es ihre Entscheidung ist und nicht die Entscheidung, die über ihre Köpfe hinweg getroffen worden ist“, erklärt die Aktivistin Lisa. Eine Situation im Audimax, die die unterschiedlichen Auffassungen von Basisdemokratie in der Praxis gut illustriert, schildert Reza: „Zum Beispiel hab ich vorhin schon die Abstimmung nach dieser Soli-Resolution für die iranischen Studentinnen angesprochen. Da war’s wirklich so, dass ich von der Bühne gekommen bin und so ein wirklicher Basisdemokratie-Freak zu mir gekommen ist und gemeint hat: ‚wie jetzt? mit einer Gegenstimme angenommen worden?’. Und ich hab’ gesagt ‚ja eine Gegenstimme gab’s halt’. Und hab’ die Frage gar nicht verstanden. Dann hat er gemeint: ‚Warum ist das nicht ausdiskutiert worden?’ und dann hab ich gemeint ‚ja, ich hab’ eh gesagt, gibt’s dazu noch Wortmeldungen’ und wollt’ dem Raum einräumen, um das zu diskutieren. Dann gab’s keine Wortmeldungen und er hat gemeint, ‚den hätt’ man doch auffordern müssen, dass er mit seiner Kritik herangeht.’ Und ich hab’ gemeint ‚den kann man ja nicht zwingen’ und ich meine: 799 zu eins (wenn man von 800 Personen im vollen Audimax ausgeht Anm. d. Red) ist für mich ein relativ klares Verhältnis.“ Nachdem es offenbar sehr viele Missverständnisse und Konflikte um das Thema (Basis-)Demokratie gab, die nicht zuletzt der politischen Heterogenität dieser Bewegung geschuldet waren, ist es erstaunlich, dass sich ein bestimmtes, recht diffuses Konzept so durchsetzen konnte, dass damit so produktiv über einen längeren Zeitraum gearbeitet werden konnte. Lisa: „Besonders faszinierend finde ich halt, dass Menschen, die sich noch nie mit basisdemokratischer Entscheidungsfindung auseinandergesetzt haben, hier plötzlich basisdemokratisch handeln und zum Teil hab’ ich auch das Gefühl, dass das auch von einem Impuls ausgeht und nicht unbedingt von einem theoretischen Hintergrund. Und das ist das, was, glaub’ ich, niemand so erwartet hätte, dass das so weit aufgenommen wird. Demokratie in dem Sinne, wie dieses System laufen sollte und zum Teil auch immer noch läuft mit diesem ‚alle Macht den Arbeitsgruppen!’“ An dieser Form der Entscheidungsfindung wurde allerdings bemängelt, dass, wie Sebastian sagt „bei manchen Plena gewisse wichtige Themen nur zur Hälfte behandelt wurden, aber gewisse Themen, die eigentlich unnötig sind, sich gleichzeitig endlos gezogen haben. Also so Sachen, dass Leute abstimmen mussten, ob man jetzt zehn Packungen Scheißhauspapier einkauft“. Auch Reza kritisiert, „dass Leute, die berufstätig sind, oder bei denen ein Stipendium auf dem Spiel steht, die Kinder haben oder andere Pflichten, dass diese Leute dann eben von so Entscheidungsfindungen komplett ausgeklammert werden“. Trotz dieser Einwände wurde über Monate hinweg nach diesem Prinzip gearbeitet. Dies scheint einen tiefen Eindruck bei den Beteiligten hinterlassen zu haben. So ist diese Organisationsform für Sarah ein wichtiger Faktor für die Stärke der Bewegung: „Also, es dauert halt alles immer ein bisschen länger, über irgendwas zu diskutieren oder Entscheidungen zu treffen. Aber es funktioniert gut. Und dieses Basisdemokratische ist auch genau der Grund, warum das schon so lange geht und warum so viele Menschen mittun … weil dann auch jeder einzelne irgendwie selbst Verantwortung zeigen muss oder auch zeigen kann, ja, und auch irgendwie das Gefühl kriegt, auch was Wichtiges beizutragen.“
Felix von den Squatting Teachers stellt das auch in einen längerfristigen Zusammenhang politischen Arbeitens: „Einerseits versteh’ ich FreundInnen, die nach stundenlangen AGs entnervt wegen der basisdemokratischen Entscheidungsfindung die Gruppe verlassen haben, aber es hat sich gezeigt, dass tatsächliche politische Praxis viel mehr ist als nur clevere politische Positionen zu entwickeln… Die Frage, wie geht man mit Leuten weiter, mit denen man was tun will, die aber andere Positionen haben. Das sind Skills, die total wichtig sind, mit denen man sich auseinandersetzen muss. So gesehen sind die mühseligen Plena eine wichtige Erfahrung, obwohl es viel Energie geraubt hat. Das nehm’ ich auf jeden Fall als Frage mit.“
„Und jetzt fangen wir an, Bedingungen zu stellen!“
Das Thema Demokratie war aber nicht die einzig umstrittene Frage innerhalb der Bewegung. Wir haben nach wich tigen Debatten und umkämpften Fragen im und rund um das Audimax gefragt und versucht, hier die wichtigsten Konfliktlinien herauszuarbeiten. Da wäre zunächst einmal die Frage der Strategie. Für Anna ist das die Frage: „… wie unterschiedlich die Haltung zu Verhandlungen ist. Wie konstruktiv man ist. Wobei das vielleicht auch keine direkten Unterschiede sind, sondern eine Frage des Maßes, weil viele sagen: Okay, die Angebote, die wir bis jetzt bekommen haben, sind so lächerlich, dass wir überhaupt nicht auf sie eingehen. Das kann auch konstruktiv sein, wenn es heißt, wir warten auf was Besseres. Viele sagen aber wieder, das ist unkonstruktiv und wir müssen gleich verhandeln.“ Oder für Sarah, die sich Gedanken darüber macht, ob die Form der Besetzung eine gute Protestform darstellt: „Also, mit der Besetzung sind ja viele nicht einverstanden. Oder viele, weiß ich gar nicht, aber zumindest gibt es eine Facebook-Gruppe namens „Studieren statt blockieren“ wo mittlerweile 25.000 Fans dabei sind und das sind halt die, die sagen, sie finden das nicht okay, wie das abläuft, weil eben Hörsäle besetzt werden und dass das halt nicht okay ist … Ich denke mir, es wäre anders nicht gegangen, also gerade die Besetzung hat eben so eine mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen und dadurch ist das ja alles ins Rollen gekommen, anders wäre das gar nicht gegangen, ist meine Meinung.“ Oguz von der AG MigrantInnen und ArbeiterInnen ist dagegen der Meinung, dass sich jegliche zögerliche Haltung vollkommen erübrigt „Nö! Wir sind hier die Streikenden und streiken eben genau dagegen, dass uns der bürgerliche Staat die Bedingungen stellt. Und jetzt fangen wir an, Bedingungen zu stellen!“ Das sind Debatten zum Thema: Wie erreichen wir unsere Ziele? Die hängen aber nicht zuletzt mit den inhaltlichen Fragen, wie weit unsere Ziele denn gefasst sind, zusammen. Dazu meint Felix von den Squatting Teachers: „Ja, die PragmatikerInnen haben gemeint, die gesamtgesellschaftliche Haltung schadet der Bewegung, weil sie ablenkt von konkreten Forderungen, also ‚nicht über Kapitalismus reden, sondern über Studienbedingungen’. Die Radikaleren, die ich auch als die Vernünftigeren sehen würde, meinen dann eher: ‚Ohne gesellschaftliche Einbettung wird man nicht sehr weit kommen’, weil dann besteht die Gefahr von kleinen Zugeständnissen, die im Endeffekt nicht viel verändern. Zum Beispiel die Reihe von Solidarisierungen: Dass sich bis zum Rektorenchef Badelt alle solidarisch erklären können, hängt an der Forderung, dass die Unis mehr Geld brauchen, ohne im gleichen Atemzug die Demokratisierung zu erwähnen! Also man muss das einbetten, damit es eben nicht zu so einer Vereinnahmung durch diese Leute kommt!“ Andere hingegen standen der Frage der inhaltlichen Ausweitung mit größerer Skepsis gegenüber. Andreas, der ein Theaterstück über Leistungsdruck an der Uni geschrieben hat, überlegt sich dazu Folgendes: „Ja und dann hab’ ich den Eindruck, ist die Bildungsdiskussion zur gesellschaftspolitischen Diskussion geworden. Was seine Berechtigung hat, was aber dann schnell ausufern kann. Solidarisierungen mit verschiedenen Gruppierungen haben ihre Berechtigung, wenn’s um den Kampf um Freiheiten geht. Aber das kann man dann ganz schwer konkret festmachen. Wenn jetzt die Metaller streiken, dann geht’s da um Lohnerhöhungen, inwiefern das jetzt mit dem Unisystem in Österreich zu verbinden ist, ist nicht ganz so leicht zu denken. Dieses gesellschaftspolitische Ding ist ganz schnell ausgeufert, auch mit ganz klaren ideologischen Aussagen. Natürlich, das Bildungssystem steht in einem kapitalistischen Zusammenhang, wir sind in einer Welt, die ökonomisch funktioniert, … ja, um die Bildung reformieren, braucht’s aber nicht notwendigerweise einen Sturz vom Wirtschaftssystem. Also ich find’ das sehr heterogen, die ganze Debatte. Aber sie ist ein Zeichen, und grad weil auch KindergärtnerInnen, Metaller und andere Gruppierungen sich im Zuge dessen auch wieder zu Wort gemeldet haben, glaub’ ich, dass sehr viel Wut vorhanden ist in den Menschen. Dass sehr viel nicht stimmt.“ Die Debatte um die Einbeziehung gesellschaftspolitischer Themen ist nicht nur eine um AkteurInnen, sondern eine, die sich über die Zeit verändert hat, meint Lisa: „Ich glaub’, dass diese zentralen Debatten und Diskussionen sich ganz stark verändert haben während den letzten Wochen. Während am Anfang schon ganz stark die Sachen im Vordergrund standen, die sich wirklich mit dem Bildungsthema in allererster Linie beschäftigt haben, kommen jetzt – glaub’ ich – auch gesamtgesellschaftliche Fragen in die Debatten.“ Auch Sebastian, Lehrling und bei der Sozialistischen Jugend aktiv, stellt die Frage, „ob die Bewegung denn jetzt links ist?“ – und genau das wird in den skizzierten Debatten verhandelt
„Antisexismus muss ein Prinzip sein!“
Der Umgang mit Geschlechterverhältnissen stellte ein wichtiges Thema innerhalb der Bewegung dar. Nicht zuletzt spiegelten diese sowohl die gegebenen Machtverhältnisse im universitären Feld, als auch die Präsenz feministischer Positionen auf den jeweiligen Universitäten wider. So beschreibt Michael den Protest an der TU als „stark männlich dominiert“, während Sarah die Beteiligung von Studentinnen und Studenten an der Bewegung an der Hauptuni als „ausgeglichen“ empfindet. Dass dies jedoch nicht nur ein Abbild der bestehenden Verhältnisse darstellt, zeigen die harten Debatten um das Thema Anti-Sexismus und Feminismus im und um das Audimax. So meint etwa Oguz: „Dass es Sexismus in der Bewegung gibt, braucht ja auch keine große logische Ableitung. Es ist offensichtlich, wenn die Gruppe [AG Frauen*Lesben*] vorne steht und meint, wir wollen eine Frauen-Quote von 50% und dann gibts zwei Wochen Diskussion… auf Facebook gab’s dann so Sachen zu lesen wie ‚Lesben-Nazis‘ und sowas … das ist totaler Schwachsinn! Das ist der objektive Beweis, dass es Sexismus gibt.“ Auch Reza ist „schockiert, weil vermeintlich aufgeklärte, gebildete, kritische Menschen im Plenum sitzen und trotzdem Wortmeldungen von feministischen Frauen mit Buh-Rufen und sexistischen Meldungen quittiert worden sind. Es hat auch Übergriffe gegeben, gegen die nicht mit der notwendigen Vehemenz vorgegangen wurde.“ In den ersten Wochen wurden Sexismen und Übergriffe vor allem von der AG Frauen*Lesben* aufgegriffen, politisiert und im Laufe der Bewegung dafür auch immer wieder vehement Raum eingefordert. Die Art und Weise, wie dies geschehen ist, war – auch unter FeministInnen – umstritten. So meint etwa Anna, dass „das am Anfang echt brutal gebracht worden ist… Ich glaube, das hat auch einen echten Diskurs darüber verhindert“. Felix dagegen ist der Ansicht, dass „das total wichtig war, dass es diese Gruppen gab und dass die auch nach außen feministische Forderungen eingefordert haben, zu sagen: diese Bewegung ist entweder feministisch oder nicht links. … Da muss man sehen, dass es Leute gibt, die feministische Positionen auf diese Art und Weise einbringen und die sind auch Teil der Bewegung. Ich kann dieser Radikalität auch was abgewinnen, diesem Nichtdiskutieren- Wollen… aber ich versteh’ diese Kritik.“ Für Lisa sind feministische Positionierungen auch Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer emanzipatorischen (Basis-)Demokratie: „Da ist halt die Unterscheidung zwischen Prinzip und Forderung, die ganz wichtig ist. Es ist etwas, was ich immer wieder wiederhol’: Antisexismus, Antirassismus muss ein Prinzip sein, es kann keine Forderung sein.“
„Alle Forderungen sind umkämpft“
Apropos Forderungen: Gefragt nach den für sie persönlich wichtigsten Forderungen wurden von den Interviewten höchst unterschiedliche Prioritäten gesetzt. Einige hatten sehr konkrete Vorstellungen. So forderte Michael „mehr als zwei Prozent des BIP für Bildung“ und Andreas „dass es statt Erweiterungscurricula2 freie Wahlfächer, und statt STEPs3 freie Module“ geben müsse. Viele persönliche Forderungen bezogen sich auf „ein gesellschaftliches Umdenken in Bezug auf Bildung“. Sebastian: „Bildung ist ein Menschenrecht und ein Menschenrecht darf nix kosten“. Gio betont „die soziale Gerechtigkeit im Bildungssystem, dass keiner bevorzugt wird, egal welcher ethnischen Herkunft“. Anna ist vor allem gegen „diese Kommerzialisierung, diese Überschreibung durch wirtschaftliche Interessen“, denn „das ist ein allgemeiner Trend und gerade bei Unis ist der sehr gefährlich. Ich denke, dass es seit es Universitäten gibt, keine derartige zweckgebundene Bildung gab“. Darüber hinaus fordert Felix eine „gesamtgesellschaftliche Debatte“ ein und Lisa setzt darauf, „dass sich hier eine emanzipatorische Bewegung entwickelt … die sich als internationale emanzipatorische Bewegung versteht.“ Die Forderungen waren ständig in Entwicklung begriffen. Auf die Nachfrage, welche denn die umstrittensten waren, rekapitulierte beispielsweise Michael von der TU Wien: „Die umkämpftesten Forderungen waren… es waren alle Forderungen umkämpft und sie sind umkämpft – das ist eine unglaubliche Stärke.“ Selbst über Studiengebühren, deren Abschaffung lange Zeit als einziges hochschulpolitisches Ziel präsent war, und über die für Lisa „ein gemeinsamer Konsens“ besteht, wurde wieder diskutiert. Beispielsweise meint Michael von der TU: „Also es hat mich persönlich erstaunt, dass teilweise gleich in der ersten Diskussionsrunde über die Forderungen die Frage der Studiengebühren wieder aufgeworfen wurde und ein gewisser Anteil von Personen, die sich an dieser Diskussionsrunde beteiligt haben, gemeint haben, wir brauchen Studiengebühren in der Höhe von 30.000 Euro, die dann irgendwie wieder über Sozialstaffelungen den sozial Bedürftigen rückerstattet werden.“ In diesem Kontext war die gemeinsame Forderung nach freier Bildung erneut mit Inhalt zu füllen. Sarah: „Für mich ist freie Bildung am wichtigsten. Also, freie Bildung heißt für mich, dass sich jeder bilden kann, in dem Bereich, der ihn interessiert und das heißt auch, dass eben Themenvielfalt herrscht. Also, das heißt auch, dass ich mir aussuchen kann bis zu einem gewissen Grad, was, welche Fächer mag ich jetzt machen, welche mag ich nicht machen, also das finde ich wichtig. Ja, freie Bildung und auch Forschung natürlich.“ Eine weitere Debatte betraf die Einschätzung des Bologna- Prozesses. Dazu meint Gio aus der AG Abendgestaltung, dass „sich die meisten ja doch nicht so gut auskennen damit, ob man den ganz abschaffen soll oder ob man den bearbeiten soll.“
Eine Frage, die sehr früh auftauchte, war die der Solidarisierung oder Vernetzung mit anderen politischen Kämpfen, die Möglichkeiten und Chancen der Ausweitung der Proteste auf andere Teile der Gesellschaft, wobei neben den SchülerInnen drei Gruppen ins Auge fielen: Zum einen die Gewerkschaften Metall-Textil-Nahrung sowie Druck-Journalismus- Papier, die sich im Herbst in teils ungewohnt harten Kollektivvertragsverhandlungen befanden. Zum anderen die KindergartenpädagogInnen, „die eigenständig Demonstrationen auf die Beine gestellt haben, die auch recht groß waren, die recht kämpferisch waren und es gab’ auch eine gemeinsame Aktion“. Mit der Zeit wurde die „Bildungsbewegung“ auch von einer anderen Thematik eingeholt: Eine immer größere Zahl von Obdachlosen suchte und fand Unterschlupf im Audimax. In Folge enstanden einige Aktionen mit den Obdachlosen und gemeinsame Demonstrationen fanden statt. Anna findet es „cool, dass sich das so mit der Obdachlosen-Frage verbunden hat: die sind jetzt da, die kennen wir, die sehen wir jeden Tag. Das ist jetzt auf jeden Fall ein Teil der Bewegung, weil da sieht man, was mit freien Räumen passiert… Dass, wenn man – wie hier – mal einen Raum geöffnet hat, auch Leute kommen, die hier schlafen wollen, verweist auf ein großes gesellschaftliches Problem. Das ist auch zu unserem Thema geworden.“ Ihre allgemeine Einschätzung bezüglich einer Ausweitung der Bewegung formuliert sie folgendermaßen: „Ich glaube, wir kommen nicht direkt zu den ArbeiterInnen, aber über diese ganzen Verbindungen – Schule, Kindergarten, Prekarität des Mittelbaus… – das hängt alles schon sehr zusammen… und so kann das Ganze schon sehr groß werden, wenn man es wirklich in den Kontexten sieht.“
„Scheiße, das geht echt!“
Die wohl größten – und wohl nicht zufälligen – inhaltlichen Übereinstimmungen in den Antworten gab es auf die Frage, was denn als Erfolg der Proteste bezeichnet werden könnte. So wurde zum einen noch einmal explizit auf die Erfüllung der konkreten Forderungen verwiesen, denn – wie es Anna formuliert – „die bleiben ja auch… Mir fallen jetzt nach und nach weitere Forderungen ein, weil ich mir vorher ja nie so wirklich gedacht hab: was stört mich denn eigentlich wirklich?“ So meint auch Felix von den Squatting Teachers mit dem Hinweis, dass dieses Thema in den letzten Wochen nicht zuletzt viele „Bier-Runden“ beschäftigt hat: „Auch wenn ich das nicht darauf reduzieren möchte, fände ich’s gut, wenn diese unseligen STEPs abgeschafft werden und von offizieller Seite eingestanden wird: Das war ein Fehler! Die Studis haben das abgeschafft! Dann gäb’s noch mehr: Demokratisierung, mehr Ressourcen, weg von dieser Prekarisierung, der Uni als prekärem Arbeitsort. Da sollten wir hin.“ Zum anderen wurden die Proteste selbst als Erfolg hervorgehoben – ihre konkrete Ausgestaltung und Organisation, sowie ihre breitere Resonanz und ihre Bedeutung als Bezugspunkt und Identifikationsmoment für zukünftige emanzipatorische Projekte wurden betont. In diesem Sinne meint auch Felix, dass „schon viel geschafft wurde: Die Debatten sind schon ein Sieg. Was wird öffentlich diskutiert… im Vergleich zu ein paar Wochen vorher! Bis in die Wohnzimmer ist das ein Thema! Auch Studierende können mit ihren Eltern anders reden, weil sie ein back-up haben, dafür dass sie Orchideen-Fächer studieren. Also dass diesem schleichendem Übernehmen von so neoliberalen Ideen schon was entgegengesetzt wird. Das ist gut als Kontext für Dinge, die jetzt noch passieren werden und passieren… Man weiß einfach nicht, wohin sich das verästelt und was da noch passieren kann… Ich glaub’, diese Proteste haben eine Generation von Studierenden geschaffen, die dadurch ein bisschen problematischer sind für die Welt, als sie es wären, wenn es das nicht gegeben hätte. So ist zum Beispiel das wahre Problem mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nicht, dass die Leute aufhören werden zu arbeiten. Sondern das, wovor die da oben wirklich Angst haben müssen, ist: Was werden die Leute in ihrer Freizeit tun, was für emanzipative Prozesse werden sich da entwickeln. Ich glaub’, das hat diese Bewegung diesen Leuten schon klar gemacht, dass sie irrsinnig viel auf die Beine stellen können. Ich glaub’, dass das viele Leute überrascht hat, was sie selber eigentlich können, wenn sie mal nicht nur Tests bestehen und Deadlines einhalten müssen, sondern wenn es ihnen überlassen wird. Insofern bin ich auch der Meinung, dass da wirklich ganz viel passiert ist! … Man hat eine neue Situation und von dort wird dann weiter gearbeitet. Alles andere wäre eine falsche Sicht auf politische Praxis.“ Auch Anna formuliert dies mit dem Hinweis auf die konkrete Arbeitsweise im Zuge der Proteste: „Ich sehe es schon als Erfolg, dass hier irrsinnig stark vernetzt wurde zwischen Leuten, die was machen. … Ich denke, die Leute, die jetzt so viel da waren, da kann ich mir nicht vorstellen, dass sich das jetzt einfach so auflöst. Das ist so eine Schicksalsgemeinschaft geworden, wir haben alle Krisen gemeinsam erlebt… also da bleibt sicher eine Art Netzwerk. Auch eine starke Politisierung … Dass sich die Leute auch mit dem Uni-Gesetz auseinandergesetzt haben. Ich erwarte mir auch eine andere Einstellung zur Raum-Nutzung. Also so das ‚wir bleiben jetzt einfach mal da und machen‘. Und zu merken: Wir können wirklich! Wir haben irrsinnig viel aufgebaut und gelernt: konkrete Presse-Arbeit oder die Betreuung der Homepage. … Das sind Sachen, wo du dir denkst, ‚scheiße, das geht echt. Wir können was auf die Beine stellen‘, dieses Empowerment.“ Schließich verweist Oguz von der AG MigrantInnen und ArbeiterInnen auch darauf, dass es ein Erfolg wäre, „wenn man für den Bologna-Gipfel im März nochmal was ähnliches machen könnte.“ Eben diese Aspekte der erfolgreichen politischen Mobilisierung sowie der Selbstorganisation werden wiederum zum Thema, als wir nach den beeindruckendsten Erfahrungen fragen. So nennt hier Michael von der TU nicht als einziger die großen Demonstrationen. „Weil einfach … man sitzt irgendwo in einem Kämmerchen, arbeitet die ganze Zeit darauf hin, man telefoniert raus, mit irgendwelchen Personen und versucht zu mobilisieren und dann geht man raus auf die Straße und plötzlich hat man da tausendeMenschen. Also mich hat das … ich hab jedes Mal einen Schauder bekommen, wie ich die ganzen Menschen gesehen hab, beziehungsweise wie ich gesehen hab, wer aller mitgeht bei dem Demozug. Und das finde ich … Also es sind immer so … so kleine Punkte die mich riesig freuen.“ Schließlich fügt er noch das „ordentlich Feiern“ dazu „… weil man sich einfach auch belohnen muss“ und nennt damit wohl einen Punkt, dem die meisten Beteiligten ebenfalls keinen geringen Stellenwert zukommen lassen würden. Reza bezieht sich wiederum auf die Stimmung und die konkrete Selbstorganisation (nicht nur) im Audimax: „Am beindruckendsten war sicher die erste Zeit, der erste Tag im Audimax, im besetzten, wo’s überall herumgewurlt hat und wo im verschlafen Österreich endlich wieder die Lust an politischer Aktivität an den Leuten zu spüren war … Auch der Punkt, dass ganz viele Leute eben ganz viel Energie und ganz viel Arbeit auch in die Sache gesteckt haben: Das Klo geputzt haben, die VoKü am Leben erhalten haben. Was eben auch zeigt, dass Arbeit an sich eben nicht oasch sein muss und dass das abhängig ist, eben von ganz konkreten Umständen und man das Gefühl hat, dass man das in einem Kontext macht, wo’s sinnvoll ist. Kloputzen für politische MitstreiterInnen macht halt viel mehr Spaß als Kloputzen für irgendwelche Oaschlöcher, die die Arbeit überhaupt nicht schätzen, also Lohnarbeit.“
„Die Welt, wie sie aussehen könnte“
Schließlich haben wir danach gefragt, was von diesen Protesten mitgenommen wird und ob bzw. was sich im Bezug auf das politische (Selbst-)Verständnis geändert hat. Ein wichtiger Begriff dabei war zum ersten schlichtweg „Mut“, wie es Sarah vom Psychologie-Institut mit den Worten auf den Punkt bringt: „Ja, irgendwie … mehr Mut habe ich wahrscheinlich, ja, ich habe auch mehr Mut gelernt.“ Auch Andreas von der Theater-AG betont dies im Kontext der gemeinsamen Arbeit: „Ja, wenn man was machen will, dann kann man auch was machen. Man muss sich nur auf die Füße stellen. Man kann Leute finden, die einem helfen… Es hat Mut gemacht, diese drei Wochen, dass man sich selbst fragt, wo steht man und wenn man sich positioniert hat, dann kann man das auch äußern.“ Einen Aspekt, den Gio schlichtweg mit „Selbstorganisierung, halt“ kommentiert. Des Weiteren wird hier der Umstand genannt, dass wohl die Wenigsten mit den Protesten in dieser Form und diesem Ausmaß gerechnet hatten. So formuliert es etwa Michael, wenn er erklärt, dass er sich davor zwar auch als politischen Menschen gesehen und immer wieder die Diskussion gesucht hat, „aber ich hab’ nie geglaubt, dass ich etwas verändern kann. Durch die Proteste hab’ ich gelernt, dass es möglich ist als einzelne Person im Rahmen von etwas größerem etwas zu schaffen.“ Auch Lisa resümiert vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung als politische Aktivistin: „Erwarte das Unerwartete! Glaub’ nie, dass du irgendwie sicher sein kannst, selbst wenn du deine tausend Theorien im Kopf hast, tausend Plena die Woche, selbst wenn du dir denkst ‚hmm, hmm, passiert nix‘… gib nicht auf!“ Dass diese Erfahrung nicht zuletzt auch einen wichtigen Impuls für zukünftige Projekte und Bewegungen darstellt, betont Sebastian: „Ich glaube, die Linke an sich wird in Österreich nachher nicht mehr dieselbe sein, die sie davor war.“ Schließlich fasst Felix die breit geteilte Euphorie in Worte: „Das zu sehen, dass da so ein ‚Staat im Staat‘ errichtet wurde von den Studierenden. Dass es Tage gab, wo es am Abend sieben Arbeitsgruppen mehr gab als in der Früh und da wirklich viel passiert ist. Auch die Basisdemokratie, dass es Gruppen gab, die das wirklich zu einem emanzipatorischen Projekt gemacht haben. Es war toll, diese Vielfältigkeit von politischer Praxis mitzuerleben: also vom theoretischen Überlegen, was hat Bologna mit Rassismus zu tun; danach in einem zugigen, kalten Hörsaal sich einen Vortrag über Popkultur anhören und dann sich zu überlegen, wie bastelt man eigentlich ein Transparent, ohne dass es durchhängt. Da gab’s Tage, wo ich mir dachte: okay, so könnte die Welt also aussehen!“
Anmerkungen
1 Alle Namen von der Redaktion geändert.
2 Modular aufgebaute Wahlfachkörbe, die im Gegensatz zu dem alten Konzept der (freien) Wahlfächer viel weniger Gestaltungsfreiraum lassen
(Anm. d. Red.).
3 Steps sind strukturierte Eingangsphasen, über die (versteckte) Zugangsbeschränkungen exekutiert werden (Anm. d. Red.).