Rezension: It’s a Free World, Drama, GB, Italien, Deutschland, Spanien, Polen 2007, 92 Minuten, Regie: Ken Loach, Kamera: Nigel Willoughby
Die Phrase „It’s a free world“ verweist auf die prinzipielle Freiheit der Individuen, Verträge einzugehen. Zugleich stellt sie die lapidare Antwort des Neoliberalismus und seiner ProponentInnen auf die erlebten Drangsalierungen durch die Märkte dar. Ken Loach macht sich in seinem neuestem Film zur Aufgabe, zu zeigen, dass diese Phrase bodenlos zynisch ist, indem er minutiös nachstellt, wie wenig frei diese Welt der Märkte und das Individuum in ihnen tatsächlich ist.
Die Geschichte, die er zu diesem Zweck wählt, ist recht einfach gehalten: Im Mittelpunkt steht Angie, die alleinerziehende Mutter, die von einem Job zum anderen wechselt und sich wieder einmal auf die Straße gesetzt findet, nachdem sie sich gegen die sexuelle Belästigung durch einen Auftraggeber ihrer Personalvermittlungsagentur gewehrt hatte. Dies ist jedoch nicht ihr einziges Problem, auch ihr elfjähriger Sohn, der bei seinen Großeltern lebt, leidet daran, dass seine Mutter keine Zeit für ihn findet, da sie die meiste Zeit damit zubringt, ihre Schulden abzuarbeiten. Doch mit etwas UnternehmerInnengeist und der Hilfe ihrer Mitbewohnerin Rose, einer ebenfalls in Shitjobs gefangen Akademikerin, findet sie die vermeintliche Lösung ihrer Probleme: die beiden gründen in dem Hinterhof eines Londoner Pubs eine illegale Arbeitsvermittlungsagentur für TagelöhnerInnen.
Anhand dieses inhaltlichen Gerüsts zeigt Loach, dass eben nicht nur die Ausgebeuteten, sondern auch die Ausbeutenden die Zwänge des Systems unweigerlich zu spüren bekommen. Mit den TagelöhnerInnen bringt er noch einen weiteren Aspekt in die Geschichte mit ein: die Rolle teils illegalisierter migrantischer Arbeit, die von weitgehend rechtlosen und unorganisierten ArbeiterInnen aus den ehemaligen Ostblockstaaten oder von Asylsuchenden verrichtet wird und einen wesentlichen Eckstein westlicher Ökonomien bildet. Auch Angie wird sich im Verlauf dieses Films skrupellos an ihnen bereichern und ihre Machtposition missbrauchen: so deutet eine Sequenz an, dass sie von einem ihrer Arbeitnehmer sexuelle Gefälligkeiten einfordert. Da dies mit dessen impliziter Einwilligung geschieht, erfüllt es zwar nicht den Tatbestand der sexuellen Belästigung. Der Kontext in dem das alles stattfindet – das Machtverhältnis zwischen ArbeitgeberInnen und -nehmerInnen, aber auch ihre eigenen Erfahrungen mit sexueller Gewalt – sorgt allerdings für massives Unbehagen, weil er exemplarisch zeigt, dass die in Verträgen skizzierten Grenzen zwischen öffentlich und privat letztlich zur Farce verkommen.
Loachs Darstellungsweise verzichtet aber darauf, diese Geschehnisse in simpler schwarz-weiß Manier abzuhandeln. Einerseits macht er deutlich, wie Angies eigene Situation sie dazu zwingt, aus dieser Rechtlosigkeit Profi t zu schlagen. Gleichzeitig ist sie aber auch selbst immer mehr gewillt, ihr Handeln als legitim zu begreifen – „We’re giving these people a chance. (…) If I was him, I’d wanna meet someone like me.“ [Über einen iranischen Familienvater, dem sie gefälschte Papiere und mit diesen unterbezahlte Arbeit beschaff t.] Die Frage nach Opfern und TäterInnen in diesem System wird also nicht ausgespart, aber auch nicht als manichäisch begriff en – dafür stehen etwa die Gespräche mit ihrem Vater, in denen Loach Angie ihre Lebenssituation offen legen lässt. Eine Episode ist dabei besonders hervorzuheben: Angies Vater erfährt von ihren Geschäftsmethoden und stellt sie, auf seiner Frage „Do you pay minimum wages?“ insistierend, zur Rede. Der besondere Reiz dieser Szene liegt vor allem in der unterschiedlichen Geschichte der beiden Charaktere begründet – der Vater, gewerkschaftlich organisiert und seit dreißig Jahren in ein und demselben Betrieb, die Tochter dagegen ihr Leben lang mit prekären Arbeitsverhältnissen konfrontiert.
Die Meisterschaft von Loachs Film liegt in den Bildern, die er für Sachverhalte findet, die in theoretischen Abhandlungen meist recht nüchtern und technisch bleiben. Diese sind dabei so gewählt, dass sie weder unkritisches Mitleid herstellen, weil selbst die Opfer des Systems nicht als ohnmächtig und machtlos gezeichnet werden; noch wollen sie in selbstgefälliger, patrimonialer Manier zeigen, wie unabänderlich schlecht diese Welt sei und dass es sich damit zu arrangieren gelte. Die einzelnen Einstellungen sind für sich selbst zwar weitgehend nüchtern, beinahe dokumentarisch, in Summe aber entfalten sie ein beklemmendes Drama, das über diese hinausweist. Die Art der Erzählung und der ästhetischen Präsentation steht dem italienischen Neorealismus nahe und bleibt weitgehend ohne Längen – und ohne Happy-End: niemand gewinnt, weder die migrantischen ArbeitnehmerInnen noch Angie selbst, die ihr persönliches Glück ihrer Selbstausbeutung zum Zwecke finanzieller Unabhängigkeit unterordnet.