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Editorial
von Perspektiven-Redaktion

Strache auf dem Cover? Wird Perspektiven jetzt zum linken News? Reißerische Aufmachung, die sich auf das Charisma eines Photoshop-gestylten „Rechtspopulisten“ einlässt, um die Auflage zu steigern? Keine Sorge, wir können beruhigen. Mit dem Titelfoto zu unserem Schwerpunkt „Rechtsextremismus und soziale Krise“ wollen wir nicht bloß um eure Aufmerksamkeit buhlen, sondern auch darauf hinweisen, dass sich in der Figur H.C. Straches und seiner trotz „ewiggestriger“ Ideologien runderneuerten FPÖ das Problem einer erstarkten extremen Rechten in Österreich wie im Brennglas darstellt. Dass in den bürgerlichen Medien der Wiederaufstieg der extremen Rechten als bloße Reaktion auf das Versagen der „politischen Mitte“, lösungsorientiert zu regieren, und als Protestwahl verharmlost wird, während Neonazi-Aufmärsche und die Schändung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen mit überraschter Betroffenheit quittiert werden, steht einem Verständnis dieser Zusammenhänge im Wege. Vor dem Hintergrund einer globalen Wirtschaftskrise, die sich erst langsam, aber sicher zu einer sozialen Krise auswächst, sind diese Entwicklungen umso Besorgnis erregender. Ist doch zu erwarten, dass jene rechten Kräfte, die schon bisher den Unmut über neoliberalen Klassenkampf von oben zu kanalisieren wussten, sich auch längerfristig als NutznießerInnen der Verschärfung sozialer Konflikte erweisen werden.

Dies betrifft nicht nur Österreich, in ganz Europa sind rechtsextreme Parteien und Bewegungen auf dem
Vormarsch, sowohl in den Parlamenten wie auf den Straßen. Das mussten auch die Perspektiven-Autorinnen erfahren, die in Budapest den linken Intellektuellen G. M. Tamás interviewten. Als sie den Ort des Gesprächs verließen, fanden sie sich mitten in einer Demonstration gegen die ungarische Regierung wieder, die von neo-faschistischen Gruppen dominiert war. Ein unvorsichtiges „Scheiß Nazis!“ führte zu einem physischen Angriff der Faschisten und einer Verfolgungsjagd durch die halbe Stadt, in der sich die Genossinnen auch nicht auf die Unterstützung von Kaffeehausbetreiberinnen und Taxifahrern verlassen konnten. Tamás’ Einschätzung, in Ungarn könne man von einem „dreiviertel-faschistischen Klima“ sprechen, wurde so unmittelbar bestätigt. Trotzdem hilft es nicht, sich auf entsetztes Aufschreien zurück zu ziehen. Anspruch des Schwerpunkts ist es, die politischen und sozialen Ursachen zu analysieren, welche die aktuellen Erfolge der extremen Rechten ermöglichen. Erst dadurch kann nämlich die Frage nach linken Gegenstrategien, die über (wichtige) Antifa-Aktivitäten hinaus gehen, sinnvoll gestellt werden. Daniel Fuchs und Felix Wiegand untersuchen deshalb den (Wieder-)Aufstieg der parlamentarischen extremen Rechten in Österreich in historischer Perspektive und zeigen, wie sie erfolgreich soziale Fragen mit rassistischen „Antworten“ verknüpft(e). Aufschluss über die Überschneidungen von parlamentarischen Rechtsextremen und organisierten Neonazis gibt das Interview mit dem antifaschistischen Aktivisten Robert Eiter, exemplarisch dargestellt anhand der Situation in Oberösterreich. Das erwähnte Interview mit G. M. Tamás macht deutlich, dass die extreme Rechte in Ungarn auch eine herrschaftliche Bearbeitungsform von sozialen Konflikten anbietet, in der ein Kreuzzug gegen die Armen mit antisemitischen und antiziganistischen Ideologien legitimiert wird. Schließlich zieht Megan Trudell Bilanz über ein Jahr der rassistischen und neoliberalen Politik in Italien unter der aktuellen Berlusconi-Regierung und zeigt, dass der Aufstieg der Rechten nicht zuletzt durch das historische Versagen der radikalen Linken ermöglicht wurde.

Außerhalb des Schwerpunkts, aber auch zum Thema Krise schreiben Mario Becksteiner, Tobias Boos und Ako Pire über gegenwärtige Probleme der Neuorientierung gewerkschaftlicher Strategien in Österreich. Thomas Reithmayers Artikel zu aktuellen und historischen Bedingungen kritischen Studierens an österreichischen Hochschulen kann und soll auch im Kontext der anstehenden ÖH-Wahlen gelesen werden, in denen es einmal mehr um Entscheidungen über Möglichkeiten und Grenzen studentischer Freiräume geht.

Zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und fünf Ausgaben nach Beginn der Serie „Zum politischen Erbe der russischen Revolution“ diskutieren Veronika Duma und Stefan Probst, ob der Begriff des „bürokratischen Staatskapitalismus“ die sowjetische Gesellschaftsformation nach der stalinistischen Machtübernahme adäquat fassen kann. (Ja.)

Um die aktuelle Ausgabe wie immer dicker als die letzte zu machen, bieten wir euch Rezensionen zu CO2-Emissionszertifikaten, Rosa Luxemburg, der Geschichte der italienischen KP, geistigen Eigentumsrechten im Filmgeschäft, Sabotage am Arbeitsplatz und dem jüngsten Ken Loach-Film an.

Dazu gibt’s noch die zweite Auflage der „Gustostückerl“, unserer Sammlung empfehlenswerter Artikel aus aller Welt.

Aktivierende Lektüre wünscht, mit antifaschistischen Grüßen,
eure Perspektiven-Redaktion





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