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Migrantische Kämpfe
von Felix Wiegand

Rezension: Bojadžijev, Manuela: Die windige Internationale. Rassismus und Kämpfe der Migration, Münster: Westfälisches Dampfboot 2008, 310 Seiten, € 30,80

Keine Frage, der Titel ist gut gewählt: eine Internationale, wenn auch nur windig, das schürt Erwartungen, politischer wie theoretischer Natur. Und auch der Untertitel verheißt Gutes: Rassismus und Migration, näher kann ein Buch aktuellen politischen Fragestellungen – zumal in Österreich – eigentlich kaum kommen; dazu noch Kämpfe, linkes Herz was willst Du mehr? Die Vorfreude ist also geweckt, bleibt die Frage: hält Manuela Bojadžijevs Buch, was es verspricht?

Die Autorin möchte, so macht sie in der Einleitung ihres Buches deutlich, den sozial- und geschichtswissenschaftlichen Blick auf Migration und Rassismus um eine bisher weitgehend unterbelichtete Perspektive erweitern: statt, wie so häufig auch und gerade in kritischen Beiträgen, MigrantInnen lediglich als Objekte und naive Opfer staatlicher Migrationspolitik und des Rassismus zu betrachten, macht es sich Bojadžijev zur Aufgabe, die vielfältigen Kämpfe und Widerstandspraxen von MigrantInnen aufzuspüren und nachzuzeichnen, auf welche Art und Weise diese zur beständigen Transformation und Reorganisation von Rassismus beigetragen haben. Diesen Versuch, „unserer Zeit die Erinnerung an jene sozialen Kämpfe zurückzugeben, deren Wissen nicht tradiert worden ist“ (12), unternimmt sie in der emanzipatorischen Absicht, „die Vergangenheit für eine Perspektive der Befreiung vom Rassismus in der Gegenwart und Zukunft [zu öffnen]“ (13).

Bevor sich Bojadžijev jedoch ihrem konkreten Untersuchungsgegenstand, den sozialen Kämpfen und Auseinandersetzungen von MigrantInnen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren, zuwendet, erarbeitet sie in drei theoretischen bzw. theoriegeschichtlichen Kapiteln zunächst das begriffliche Instrumentarium ihrer Analyse. Im ersten Kapitel vermittelt die Autorin dem/der LeserIn in einer Art Crashkurs in beeindruckender Manier die wichtigsten Grundlagen kritischer Rassismustheorien – angefangen bei der Bestimmung der historischen Konjunkturen von Rassismus und an Balibar, Taguieff und Co. orientierten Ausführungen zum gegenwärtig vorherrschenden „Rassismus ohne Rassen“ bis hin zu staatstheoretischen Überlegungen und der Frage von BürgerInnenrechten. Dass sie im Zuge dessen besonderen Wert auf die Prozesse der ideologischen Rassenkonstruktion, auf die Zuschreibung von Identitäten und Formen der Subjektivierung und Identifikation legt, deutet bereits auf jenen „Perspektivwechsel“ hin, den Bojadžijev am Ende dieses ersten Kapitels einfordert und der sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch zieht: nicht die durch den Rassismus erst hervorgebrachten Subjekte – die MigrantInnen – seien demnach in den Mittelpunkt einer kritischen, relationalen Rassismustheorie und der Bestimmung der historischen Konjunkturen verschiedener Rassismen zu stellen, sondern vielmehr deren Kämpfe gegen Rassismus und rassistische Identitätszwänge – die Kämpfe der Migration.

Insofern diese Kämpfe über antirassistische Praxen und Forderungen im engeren Sinne häufig hinausgehen und sich eher in Gestalt von umfassenderen sozialen (Arbeits-)Kämpfen artikulieren, muss auch eine Geschichtsschreibung derselben eine breitere Perspektive einnehmen. Ein Bild davon, wie eine solche auszusehen hat, entwickelt die Autorin im zweiten Kapitel in der Rückschau auf drei ihrer Ansicht nach gelungene historische Untersuchungen sozialer Kämpfe. In ihrem Fokus auf den je spezifischen Zusammenhang von Migration, Rassismus und Arbeit sowie auf (staatliche) Strategien der Inkorporierung und Befriedung von Kämpfen dienen diese drei, in unterschiedlichen Epochen kapitalistischer Entwicklung angesiedelten Analysen Bojadžijev als Muster und Orientierungsrahmen für ihre eigene Untersuchung. Im Unterschied zu diesen positiven Referenzen unterzieht sie im Anschluss die erst seit Mitte der 1990er Jahre als solche existierende Migrationsgeschichtsschreibung in Deutschland einer pointierten Kritik und arbeitet deren gesellschaftsund rassismustheoretische Leerstellen und Verengungen heraus.

Vor diesem theoretischen und begrifflichen Hintergrund folgt dann im eigentlichen Hauptteil des Buches Bojadžijevs Untersuchung migrantischer Kämpfe in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 1970er Jahren. Hier fokussiert die Autorin zunächst auf das Zustandekommen und die Funktion der Anwerbeverträge für sogenannte „Gastarbeiter“ sowie auf die vielfältigen und z. T. überaus kreativen Praxen und Taktiken der MigrantInnen, nach Deutschland zu gelangen und den Aufenthalt dort zu sichern. Für Bojadžijev stehen diese beiden Themenfelder in engem Zusammenhang: die Anwerbeverträge stellen ihr zufolge nicht einfach nur eine Reaktion auf ökonomische Erfordernisse und Interessen dar, sondern bilden zugleich den letztlich hilflosen Versuch staatlicher Institutionen, bereits existierende Migrationsbewegungen einer Kontrolle zu unterwerfen. Dass durch diesen Kontrollanspruch und die damit verbundene Kategorisierung von AusländerInnen „illegale“ Einwanderung überhaupt erst erzeugt wird, macht die Autorin auf ebenso überzeugende Weise sichtbar wie die z. T. erfolgreichen Kämpfe von MigrantInnen um Legalisierung und Bleiberecht. Für größeren Diskussionsbedarf sorgt demgegenüber der Begriff der Autonomie der Migration, den Bojadžijev im Anschluss an Yann Moulier Boutang benutzt, um die über staatliche Migrationspolitiken und Kontrollansprüche hinausweisende soziale und subjektive Eigensinnigkeit bzw. Autonomie von Migrationsbewegungen theoretisch zu fassen. Doch gerade weil, wie die Autorin selbst schreibt, Migration nicht „frei von bestehenden Formen der Vergesellschaftung [ist]“ (147) und sich also innerhalb gewisser herrschaftlich geprägter Strukturen abspielt, erscheint in diesem Zusammenhang eine Begrifflichkeit fragwürdig, die wie jene der Autonomie genau das Bild einer solchen Freiheit impliziert.

Bevor die problematischen Konsequenzen einer solchen Terminologie am Ende des Buches noch einmal deutlich zutage treten, schlägt die Autorin den/die LeserIn jedoch zunächst weiter mit ihrer Analyse der migrantischen Kämpfe im Deutschland der 1960er und 1970er in den Bann. Nach den Themenkomplexen Anwerbeverträge und (Il)Legalisierung sind es autonome Kampf- und Organisationsformen im Betrieb sowie alltägliche und außerbetriebliche Auseinandersetzungen um Wohnraum und den Zugang zu sozialer Infrastruktur, die Bojadžijev beleuchtet. Indem sie dabei detailreiche und anschauliche Schilderungen einzelner Aktionen, Kämpfe und Projekte – wilde Streiks, multinationale Betriebsarbeit, Wohnheim- und Kindergeldkampagnen, Mietstreiks, selbstorganisierte Zentren usw. – geschickt in theoretische Überlegungen einbettet, schafft sie nicht nur einen gut lesbaren und höchst informativen Überblick über den bis dato im deutschsprachigenRaum kaum bekannten und z.T. entscheidenden Beitrag von MigrantInnen zu den sozialen Kämpfen rund um „1968“. Vielmehr macht sie ihre Darstellung darüber hinaus auch anschlussfähig für grundlegende Fragestellungen linker Theorie und Praxis. So besitzen etwa nicht nur die aus rassistischen Spaltungen – beispielsweise des Arbeitsmarktes – für die Organisierung und Mobilisierung von ArbeiterInnen erwachsenden Probleme und die Suche nach einer angemessenen Theoretisierung des Zusammenwirkens von Unterdrückungsverhältnissen – entlang der Kategorien Klasse, Geschlecht und Ethnizität – größte Aktualität. Auch die vielfältigen Versuche linker, zumeist autonomer und operaistisch beeinflusster Gruppierungen, solche Spaltungen zu überwinden und auf soziale Kämpfe Einfluss zu nehmen, sind von mehr als nur historischem Interesse. Ebenso verhält es sich mit den von der Autorin unter dem Begriff der „Rekuperation“ gefassten Prozessen der Vereinnahmung und Inkorporierung, mittels derer in den 1970er Jahren eine weitgehende Befriedung migrantischer Kämpfe gelang: es ist nicht nur interessant, dass der heute allgegenwärtige Begriff der „Integration“ aus jener Zeit stammt, sondern auch für gegenwärtige politische Auseinandersetzungen wichtig zu wissen, wie mit seiner Hilfe kollektive Forderungen nach einem besseren Leben in den Zwang zur individuellen Anpassung umgekehrt werden konnten. Und schließlich kann eine effektive antirassistische Strategie wohl kaum ohne die Einsicht in jene Prozesse einer Kulturalisierung der Integrations- und Einwanderungsdebatte auskommen, die die Autorin am Ende ihrer historischen Untersuchung kurz als die entscheidende Entwicklungslinie seit dem Ende der 1970er Jahre skizziert.

Angesichts dieser Fülle von Anknüpfungsmöglichkeiten überrascht es umso mehr, wie Bojadžijev ihr Buch beschließt: mit einem zwar intellektuell und theoretisch höchst anregenden, politisch aber enttäuschenden Kapitel. Ausgehend von einer historisch und theoretisch begründeten Skepsis gegenüber der Kategorie der kulturellen Identität versucht die Autorin hier in Auseinandersetzung mit Frantz Fanon und dem späten Louis Althusser – bzw. dessen Interpretation durch Antonio Negri– Praktiken der „Ent-Subjektivierung“, d. h. die Befreiung von rassistischen Zuschreibungen, als zentrales Element antirassistischer Kämpfe stark zu machen und analytisch adäquate Auswege aus der spezifischen Zeitlichkeit von Rassismus aufzuzeigen. Wenngleich die Ergebnisse dieser Bemühungen aus rassismustheoretischer Perspektive wertvoll sind, droht das – auch theoretisch – einseitige Augenmerk auf die Vermeidung jeglicher Form der Identitätspolitik politisch lähmend zu wirken und der auf der Linken ohnehin bereits weit verbreiteten Position das Wort zu reden, mit MigrantInnen wäre dann keine gemeinsame Politik zu machen, wenn diese in (reaktionären) identitären Mustern gefangen seien. Statt also Identität von vorneherein pauschal mit dem Zwang zur Identifizierung gleichzusetzen und so selbst einen tendenziell essentialistischen, starren Begriff von Identität zu reproduzieren, wäre danach zu fragen, ob und inwieweit Identität als Sedimentierung kollektiv geteilter Erfahrungen von Diskriminierung und Unterdrückung nicht selbst eine Bedingung der Möglichkeit von Widerstand und emanzipatorischer Politik darstellt. Die Frage, ob spezifische identitäre Muster dann wirklich an progressive Positionen und Bewegungen anschlussfähig sind, lässt sich abstrakt nicht beantworten und bedarf der historisch-konkreten Analyse sowie einer Debatte über Strategien und Organisationsformen linker Politik. Wo ein Sich-Einlassen auf dieses Feld und die ihm notwendigerweise inhärenten Widersprüchlichkeiten und Problematiken jedoch durch Erwägungen theoretisch-abstrakter Natur erschwert wird, bleibt als politische Perspektive tatsächlich nur mehr die diffuse Hoffnung auf die Autonomie der Migration als neuartige soziale Bewegung, die „nicht nur nationalstaatliche Grenzen, sondern auch die Grenzen unserer Vorstellung des Politischen“ (283) herausfordert. Was das konkret heißen soll, wird indes ebenso wenig ausgeführt wie der konkrete Gehalt der von Bojadžijev beschworenen Praktiken der „Ent-Subjektivierung“. Diese inhaltliche Leerstelle ist gerade deshalb zu bedauern, weil nicht nur die umfangreiche und theoretisch reflektierte Untersuchung der migrantischen Kämpfe der 1960er und 1970er Jahre eine Fülle von wichtigen Fragen aufwirft, sondern die Autorin dank ihrer auf den historischen Wandel von Rassismus fokussierten Theorie auch in der Lage ist, die gegenwärtige, v. a. von Antiislamismus und Anti-ImmigrantInnen-Rassismus geprägte Konjunktur rassistischer Denk- und Handlungsweisen zu erfassen. Insofern Die windige Internationale dank seines rassismustheoretischen Perspektivwechsels und der Geschichtsschreibung migrantischer Kämpfe im deutschsprachigen Raum auf überzeugende Art und Weise Neuland betritt, dürfen diese politischen Einwände gegen einzelne Argumente jedoch nicht als Plädoyer gegen das Buch insgesamt missverstanden werden. Denn auch wenn der Begriff der Internationalen letztlich ein wenig zu hoch gegriffen scheint, so sollte Die windige Internationale doch jedeR gelesen haben, der/die sich für die komplexen Zusammenhänge von Migration, Rassismus und Arbeit interessiert und sich politisch dem Antirassismus verpflichtet fühlt





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