Die Frage, ob Wirtschaftswachstum im Kapitalismus an natürliche Grenzen stößt, wird seit Jahrzehnten in der Ökologiebewegung diskutiert. Philipp Probst zeigt, wie das Marx’sche Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit der Natur zu einer theoretischen Klärung und antikapitalistischen Zuspitzung der Debatte beitragen kann.
Derzeit folgt eine Krise der nächsten. Während letztes Jahr Hungerrevolten die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems zeigten, trotz Massenproduktion und industrieller Agrikultur Ernährungssicherheit für die gesamte Weltbevölkerung sicherzustellen1, überschlagen sich derzeit die Meldungen über fallende Aktienkurse, Banken in Kreditklemmen und in Konkurs gehende Unternehmen.
Als wäre das nicht genug, steht auch noch eine ökologische Krise vor der Tür. Die ökologische Krise „besteht aus einer Vielzahl miteinander verbundener Krisen und Problemen“2, die uns gleichzeitig auf den unterschiedlichen Ebenen, lokal bis global, konfrontieren. Auf globaler Ebene bedroht der Klimawandel Ökosysteme, menschliche Siedlungsräume und Lebensstandards; „die Klimaänderungen lassen die Eiskappen der Pole schmelzen, die Gletscherwelt der Hochgebirge verschwinden; Meeresküsten werden überschwemmt und waldreiche Gebiete verwandeln sich in trockene Savannen und manchmal sogar in Wüsten“3; Arten sterben aus und der Verlust an ökosystemischer wie genetischer Diversität nimmt zu; saurer Regen zerstört Böden und Gesundheit; Böden degenerieren und machen Landwirtschaft zu einem immer energieintensiveren Prozess4; der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden nimmt zu; Seen und Grundwasserreservoirs sind verseucht oder werden knapp; lokale Konzentrationen von toxischem Abfall und radioaktivem Material führen zu Krankheiten; urbanes Bevölkerungswachstum lässt Städte über ein ökologisch vertretbares Maß wachsen; es droht die Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen, die als fossile bzw. nukleare5 Energiequellen oder als mineralische Ressourcen eine wichtige Rolle im derzeitigen Produktionsprozess spielen6.
Sowohl die Auswirkungen der Finanzkrise als auch „der“ ökologischen Krise tragen meist nicht jene, die maßgeblich Schuld haben. Milliarden werden derzeit in Unternehmen und Banken gesteckt, während den arbeitenden Menschen Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen drohen. Ähnlich treffen ökologische Katastrophen die Ärmsten zuerst: Wohngebiete, die in der Nähe von Mülldeponien liegen, Arbeitsplätze mit hohem Gesundheitsrisiko, Schutzlosigkeit gegenüber Überschwemmungen und Unwettern, Auslöschung realer Lebensgrundlagen durch Zerstörung von Böden und Wäldern, etc.
Viele dieser Probleme sind direkt oder indirekt mit der Größe und dem Ausmaß der wirtschaftlichen Aktivität, der „scale of production“ verbunden. Während also einerseits von wirtschaftlichem Wachstum die Überwindung der gegenwärtigen Finanzkrise erwartet wird, droht andererseits das physische Wachstum der Weltwirtschaft unsere Lebensgrundlage zu zerstören. Während in den letzten Jahrzehnten – auch von MarxistInnen – die Frage nach den ökologischen Grenzen oft beiseite gewischt wurde und auf Wirtschaftswachstum bzw. „die Entwicklung der Produktivkräfte“ das Hauptaugenmerk gelegt wurde, „ist die Naturfrage“ [heute] keine Frage mehr, sondern eine Katastrophensirene, die uns aus der Bequemlichkeit der Ignoranz gegenüber der Natur aufschreckt.“7
Die regionalen und vermehrt global auftretenden Probleme führten in den 1960er Jahren zur Entstehung ökologischer Bewegungen, die Kritik an wirtschaftlichem Wachstum und ökologischen Zerstörungen formulierte. So mahnte Rachel Carson 1963 in ihrem Buch „Der stumme Frühling“, „dass die moderne Welt die Götter der Geschwindigkeit und Masse verehrt, und die Götter des schnellen und einfachen Profits; aus dieser Vergötterung sind riesige Übel entstanden.“ Doch blieben solche Ansichten eher vereinzelte Mahnrufe gegen die ökologischen Zerstörungen.
Die Ölkrise in den 1970ern führte erstmals die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und die Abhängigkeit der industriellen Produktion von selbigen vor Augen. In diese Zeit fällt das Erscheinen des Buchs „Die Grenzen des Wachstums“. Das vom Club of Rome 1973 herausgegebene Buch rückte ökonomisches und physisches Wachstum ins Zentrum der Kritik. Die Grundaussagen waren relativ simpel: Wenn die damaligen Trends unverändert fortgesetzt würden, dann käme das ökonomische Wachstum notwendigerweise im nächsten Jahrhundert zu einem Ende. Auch wenn „die damaligen Prognosen übertrieben waren, und daher der Club of Rome von vielen Autoren lächerlich gemacht wurde“8, war das nicht der eigentliche Punkt, auf den die Autoren, MitarbeiterInnen des MIT9, hinauswollten. Es sollten keine genauen Prognosen erstellt werden, sondern Szenarien, die mögliche Entwicklungswege aufzeigen könnten. Ein Ergebnis war, dass bei fortgeführtem exponentiellen Wachstum – sowohl auf der „Input-Seite“ der Produktion, durch die Endlichkeit der Inputs für eine fossil angetriebene kapitalistische Produktionsweise, als auch auf der „Output-Seite“, durch die begrenzte Aufnahmekapazität ökologischer Systeme als Senken für Emissionen und Abfall aus Produktion und Konsumption (klimaschädliche Gase, Abwässer, Müll, etc.) – zukünftig Umweltprobleme eine Dimension erreichen würden, die wirtschaftliches Wachstum an Grenzen stoßen ließe.10 Obwohl nie von einem unausweichlichen Ende gesprochen wurde und die AutorInnen nicht daran zweifelten, dass ein ordentlicher Lebensstandard für die gesamte Weltbevölkerung möglich wäre11, stieß der Bericht auf heftige Ablehnung und Kritik. Henry C. Wallich, Ökonom aus Yale, bezeichnete das Buch als „ein Stück unverantwortlichen Nonsens“ und der Ökonom Julian Simon sagte über Zukunftsszenarien: „Das ist meine Langzeitvoraussage in Kürze: Die materiellen Lebensbedingungen werden weiterhin für die meisten Menschen besser werden, in den meisten Ländern, die meiste Zeit, ohne Ende. In den nächsten ein oder zwei Jahrhunderten werden alle Nationen und der Großteil der Menschheit auf oder über dem westlichen Lebensstandard sein.“12 Die Möglichkeit, dass ökologische Prozesse der wirtschaftlichen Wachstumsdynamik Grenzen auferlegen, wurde klein geredet oder schlicht ignoriert. So meinte der Wachstumstheoretiker und spätere Nobelpreisträger Robert Solow: „Wenn natürliche Ressourcen leicht durch andere Faktoren substituierbar sind, dann gibt es eigentliche kein ‚Problem‘. Die Welt kann, faktisch, ohne natürliche Ressourcen auskommen. Erschöpfung ist nur eine Gleichung, keine Katastrophe.”13 Auch zwanzig Jahre später wurde das Buch noch kritisiert: „Vor zwanzig Jahren sprachen einige von Grenzen des Wachstums. Aber heute wissen wir, dass Wachstum der Motor von Veränderung ist. Wachstum ist der Freund der Umwelt. (George H.W. Bush, 1992).14
Was die Debatte so kontrovers machte war, dass die AutorInnen des MIT für ihre Szenarien dieselben Modelle, die auf exponentielle Wachstumstrends hindeuten, benutzten, wie orthodoxe Ökonomen wie Solow und Simon. Diesmal wurde der Fokus aber nicht auf die magische ökonomische Expansion gelegt, die Wohlstand für alle bringen würde, sondern auf die immer größeren Ansprüche, die an die endliche Natur gestellt werden. Während einige der Annahmen der MIT-AutorInnen durchaus kritisierbar waren und sind, wurde damit „eine Binsenweisheit hervorgehoben, die gern vom Kapitalismus und seinen Ökonomen ignoriert wird: eine unendliche Expansion ist in einer endlichen Umwelt ein Widerspruch in sich“15.
Der Wachstumsbegriff ist mittlerweise so sehr Bestandteil der ökonomischen Lehre, dass er nicht kritisiert oder als Ziel hinterfragt werden darf.16 „Wachstum ist zu einem Element der Alltagswelt, des Alltagsverständnisses und zu einer Selbstverständlichkeit“17 geworden. Es verwundert nicht, wenn daraus die Schlussfolgerung gezogen wird, dass die Zukunft „in die uns die Epoche des modernen ökonomischen Wachstums führt, eine des niemals endenden Wachstums für alle ist, eine Welt, in der ständig wachsender Überfluss zusammengeht mit ständig wachsenden Ansprüchen …“ 18 Schließlich wurden Begriffe wie Entwicklung, Fortschritt, Verbesserung, Gewinn, Wohlstand, Erfolg, Lebensqualität zu Synonymen für das Wort „Wachstum“19 und ökonomisches Wachstum zum Teil „westlicher Werte“. Deshalb verwundert es nicht, dass das von Simon Kuznets als Wachstumsmaß entwickelte Bruttosozialprodukt zum Wohlstandsindikator schlechthin wurde und bis heute trotz Kritik20 als solcher verwendet wird. Denn ohne „Wachstum [kann], wie ihre Repräsentanten meinen, keines der drängenden Probleme gelöst werden, angefangen bei der Arbeitslosigkeit von Millionen Individuen und nicht endend bei der Reduzierung des Budgetdefizits des Staates.“ Somit „wird Wachstum zum Prinzip, da ohne Wachstum die im globalen Akkumulationsprozess zugespitzten Widersprüche nicht gemildert werden können.“21
Die ökologischen Probleme, die mit dem Wachstum der physischen Wirtschaft zusammenhängen, verschwanden nicht einfach dadurch, dass sie ignoriert wurden. Sowohl ökologische Bewegungen als auch wissenschaftliche Forschung brachten immer wieder die Notwendigkeit auf die Tagesordnung, sich mit der ökologischen Krise zu beschäftigen. Da das Wachstumsparadigma aber nicht hinterfragt werden durfte, mussten andere Lösungskonzepte gesucht werden.
Eine Argumentationslinie, wenig überraschend aus der neoklassischen Theorie kommend, postuliert, dass Wachstum nicht das Problem, sondern die Lösung aller Umweltprobleme sei. Eine neue „industrielle Revolution“ bringe uns mittels Effizienzsteigerung22, neuen Technologien (z.B. IT-Technologien) und einem stärkeren Fokus auf Dienstleistungen ins Zeitalter einer dematerialisierten23, „post-industriellen Informationsgesellschaft“. Die „Tugenden“ des Kapitalismus – Innovation und technologischer Fortschritt, angetrieben durch den Motor „Wirtschaftswachstum“ – führe mit Hilfe kleinerer Regulierungen und markttechnischen Anreizen deshalb fast automatisch zu einem natural capitalism.24
Aus der ökologischen Perspektive kommen andere Lösungsansätze. Die Problematik des physischen Wachstums und die verheerenden ökologischen Folgen werden hier deutlich gesehen. Moderne Technologien, Massenkonsum oder die Gefahr einer „Bevölkerungsexplosion“25 sind die Hauptangriffsziele ökologischer Kritik. Das Ausmaß der von dieser Seite hervorgebrachten Katastrophenszenarien widerspricht dabei oft den vorgeschlagenen Maßnahmen, die zwischen milden reformistischen Warnungen und tiefem Pessimismus schwanken. Die meisten wissenschaftlichen Statements zur ökologischen Krise enden deshalb mit einem Aufruf zu sorgfältigerem Management. Die problematischen Aspekte „werden auf die Frage nach individuellem und kollektivem Willen heruntergebrochen – oder eben auf die Rationalität des Marktes.“26
All diesen Ansätzen ist eines gemein: der Verbindung zwischen sozialen und ökologischen Dynamiken wird (zu) wenig Beachtung geschenkt. Sowohl gesellschaftliche als auch ökologische Zwänge und Problematiken werden als ahistorisch und unveränderbar gesehen. So wird moderne Technologie27 an sich zum Problem, das Streben nach Wirtschaftswachstum eine Naturbedingung, die Gier zum Bestandteil der menschlichen Natur und die Grenze für die Größe der menschlichen Bevölkerung eine absolute.28
Die Frage, wie die Interaktion eines spezifischen Gesellschafssystems mit seiner natürlichen Umwelt geregelt wird, wie Austauschprozesse gleichzeitig durch innere gesellschaftliche und äußere ökologische Dynamiken geformt werden, fällt damit aus dem Blick. Demgegenüber entwarf Marx einen Ansatz, diese Interaktion aus systemischer Perspektive zu begreifen. Er wendete dafür das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels an.29 Dieses erlaubt es Marx, das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur als eines zu begreifen, das sowohl die von den ökologischen Prozessen vorgegebenen Bedingungen umfasst, als auch die Kapazität menschlicher Wesen, Prozesse zu beeinflussen.30
Der Begriff Stoffwechsel oder Metabolismus kommt aus der Biologie. Er beschreibt dort den Prozess des materiellen und energetischen Austausches zwischen einem Organismus und seiner Umwelt. Stoffe werden aus der Umwelt aufgenommen, verstoffwechselt, d.h. durch Stoffwechselprozesse in Strukturbausteine des Organismus umgewandelt und schließlich wieder an die Umwelt abgegeben. Im Begriff Stoffwechsel werden sowohl materielle und energetische Inputs für Wachstumsprozesse und die Aufrechterhaltung innerer Strukturen und Regelmechanismen, als auch die Rückführung materieller und energetischer Outputs durch Ausscheidungs- und Verfallsprozesse berücksichtigt. Spezifische regulierende Prozesse kontrollieren den komplexen Austausch zwischen Organismus und Umwelt. In der biologischen Systemtheorie wird der Begriff als Schlüsselkategorie31 verwendet, um die Interaktion zwischen Organismus und Umwelt zu fassen, bzw. zwischen Systemen auf allen biologischen Ebenen, Zellen bis Ökosystemen, und ihrer Umwelt.32
Marx wendete diesen Begriff als Erster auf die Interaktion zwischen Gesellschaft und Natur an. Um seine innere Strukturen aufrechtzuerhalten, braucht das gesellschaftliche System Inputs in Form materieller und energetischer Ressourcen; dabei produziert es Abfall und andere „Stoffwechselprodukte“, die früher oder später an die Umwelt abgegeben werden müssen. Durch diese Betrachtung kann die physische Seite von Gesellschaften, also der Material- und Wachstum und ökologische Krise Energieverbrauch, quantitativ (wie hoch ist der Durchsatz) und qualitativ (welche Materialien/Energieträger) berücksichtigt werden. „Input-seitige“ Fragestellungen – etwa, ob sich eine Gesellschaft hauptsächlich auf fossile Energieträger oder auf Sonnenenergie stützt, die aufgrund unterschiedlicher ökologischer Prozesse in unterschiedlichem Ausmaß und in unterschiedlichen Zeitskalen zur Verfügung stehen – und „Output-seitige“ Fragestellungen können so untersucht werden.33 Gerade letztere sind in der aktuellen Klimawandeldiskussion34 entscheidend, da die Emissionen der aktuelle Produktion die Absorptionsfähigkeit des globalen Ökosystems übersteigen und so Klimaprozesse aus ihrem „dynamischen Gleichgewicht“ gebracht werden.
Dieser Stoffwechsel wird von Seite der Natur durch natürliche Gesetze, die die unterschiedlichen physischen Prozesse beherrschen, reguliert; gleichzeitig bestimmt ihn die Gesellschaft durch institutionalisierte Normen, Arbeitsteilung, Einkommensverteilung etc..35
Die entscheidende Frage ist, welche gesellschaftlichen Prozesse Austauschprozesse regulieren und Energie- und Materialflüsse in einem spezifischen Gesellschaftssystem bestimmen. Für Marx lag die Antwort in der „menschlichen Arbeit und seine[r] Entwicklung in historisch spezifischen sozialen Formationen“36.
In den Ökonomischen Manuskripten von 1861-63 schrieb Marx, dass „Arbeit die Aneignung der Natur zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ist, die Aktivität durch die der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur vermittelt wird.“ Marx baute sein Verständnis des allgemeinen Arbeitsprozesses – im Gegensatz zu seinen historisch spezifischen Formen – auf dem Metabolismuskonzept auf.37 „Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eignes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur…Er [der Arbeitsprozess] ist allgemeine Bedingung des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens.38
Der Arbeitsprozess hat in jeder Gesellschaft zwei Aspekte, einen materiellen und einen gesellschaftlichen. Ersterer meint die Organisation und technische Durchführung des Arbeitsprozesses, die verwendeten Produktionsmittel und Ressourcen, technologische Möglichkeiten etc.. Zugleich ist der Arbeitsprozess ein gesellschaftlicher Prozess, in dem Menschen kooperieren, um die notwendigen Güter zu produzieren und aufzuteilen. Der Arbeitsprozess ist in der traditionellen marxistischen Interpretation ein transformierender Prozess, die Umwandlung natürlicher Rohstoffe oder Produkte früherer Arbeit in Güter, z.B. die Umwandlung von Holz in Möbel. Der ökologische Marxist Ted Benton argumentiert dafür, diesen Arbeitsbegriff auszuweiten. Arbeit ist demnach nicht nur ein transformierender, sondern auch ein regulierender Prozess. Arbeit wird aufgewendet, um die „Bedingungen der Produktion“, in denen ökologische Prozesse ablaufen, zu optimieren. In diesem Sinne wird der Wald, aus dem das Holz für Möbel kommt, nicht produziert, sondern nur die Bedingungen für gutes Wachstum geschaffen. Arbeit stellt also auch einen öko-regulierenden Vorgang dar. Diese Arbeit, die die Bedingungen für organisches Wachstum und Entwicklung optimiert, ist primär eher eine Arbeit des Erhaltens, Regulierens und Reproduzierens nicht-manipulierbarer ökologischer Prozesse, als die Transformation von Stoffen „(z.B. Erhaltung der physischen Struktur des Bodens als wachsenden Medium, erhalten und regulierten des Wasservorrats, Nährstoffangebots in Konkurrenz zu anderen organischen Spezies etc.)“39 Menschliche Arbeit kann diese nicht-manipulierbaren Prozesse zwar nutzen, aber die Prozesse selbst nicht kontrollieren. Ökologische Bedingungen geben menschlichen Gesellschaften gewisse Potenziale und Grenzen vor, in denen diese sich bewegen müssen. Die Entwicklung der Landwirtschaft ermöglichte es z. B. Gesellschaften, mehr Energie in Form von Nahrungsmitteln gewinnen zu können, indem sie die Bedingungen für erhöhtes Pflanzenwachstum schuf und regulierte, ohne dass die Wachstumsprozesse der Pflanzen selbst, z.B. die Abhängigkeit der Pflanzen von Nährstoffen und Sonnenlicht, kontrolliert werden konnte.40 So schaffte es zwar „die grüne Revolution“, die Nahrungsmittelerträge durch den Einsatz synthetischer Düngemittel und Konzentration auf ertragreiche Monokulturen um ein Vielfaches zu erhöhen, löste damit aber zugleich eine Kette von Probleme aus: Einerseits gefährden Monokulturen die Biodiversität und sind anfälliger für Schädlinge, andererseits stört die Ausbringung der Düngemittel jene ökologische Abläufe, die die Bodenfruchtbarkeit und auf lange Sicht die Nahrungsmittelsicherheit garantieren Die technologischen Möglichkeiten der Ertragssteigerung müssen daher ökologische Auswirkungen und Prozesse berücksichtigen, die nicht kontrollierbar, für die Herstellung von Nahrungsmitteln aber entscheidend sind. Die eigentliche Aktivität der Arbeit ist deswegen niemals unabhängig vom Potenzial der Natur, Reichtum zu erzeugen, wobei der Arbeitsprozess als zwischen Gesellschaft und Natur vermittelnder Prozess agiert.41
Die räumliche und zeitliche Verteilung der Arbeitsaktivität ist zu großem Teil durch gesellschaftliche Verteilung der Arbeitskraft und -zeit auf produktive Aktivitäten, kontextuelle Bedingungen des Arbeitsprozess und den Rhythmus der organischen Prozesse geformt, d. h. der Arbeitsprozess wird sowohl durch gesellschaftliche als auch durch ökologische Prozesse geregelt. Das Konzept des Stoffwechsels nimmt daher bei Marx sowohl eine spezifisch ökologische als auch eine weitere soziale Bedeutung an.42
Die bisherigen Ausführungen waren abstrakt und auf keine bestimmte Gesellschaftsformation bezogen. Jede Produktionsweise schafft jedoch ihre spezifische Art des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit einem ihr spezifischen Arbeitsprozess, der die Interaktion zwischen Gesellschaft und Natur reguliert. Diese Interaktion beeinflusst die ständige Reproduktion von Gesellschaft und Ökosystem. Die apitalistische Produktionsweise ist dabei deshalb eine besondere, weil sie ständig wächst und wachsen muss, um zu funktionieren.
Die Arbeit nimmt in einer kapitalistischen Gesellschaft eine doppelte Form an. Sie ist nicht nur, wie in jeder Gesellschaftsformation zuvor, konkrete Arbeit, also die unterschiedlichen Arbeitsprozesse, die zur Herstellung von bestimmten Gebrauchswerten – von Nahrung, Kleidung oder Dienstleistungen – durchgeführt werden, sondern zugleich abstrakte, d.h. wertbildende Arbeit. Dieser Doppelcharakter als konkrete und abstrakte Arbeit ist für Marx der „Springpunkt (…) um den sich das Verständnis der politischen Ökonomie dreht (…). Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft (…) und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte“43
Der kapitalistische Produktionsprozess beinhaltet sowohl den Prozess der Produktion von Gebrauchswerten, als auch den Prozess der Produktion von (Tausch)werten. „Naturkreisläufe und ökonomische Kreisläufe sind beide gleicherweise bedeutsam für die gesellschaftlichen Existenzbedingungen, für Produktion und Konsumtion.“ Der Vorteil des marxistischen Ansatzes gegenüber anderen ökonomischen Theorien ist es, diese beiden Seiten des kapitalistischen Arbeitsprozesses zu berücksichtigen. So schreibt Elmar Altvater: „Während thermodynamisch orientierte ökonomische Theorien die stofflichen Prozesse analysieren, sich also auf die Gebrauchswertseite und die konkrete Arbeit im Arbeitsprozess konzentrieren, rücken sowohl die keynesianische als auch die neoliberale ökonomische Theorie die Werttransformationen bzw. die Preisbewegungen ins Zentrum. Sie sehen vor allem die Tauschwertseite, die abstrakte Arbeit im Verwertungsprozess. Der Marx‘sche Ansatz ist daher insofern einzigartig, als er anders als Thermodynamik oder Keynesianismus und Neoklassik beide Seiten und ihre Widersprüchlichkeit hervorhebt und zu analysieren vermag.“ 44 Der Doppelcharakter der Arbeit als konkrete und abstrakte Arbeit erweist sich dann als Schlüssel zum besseren Verständnis des gesellschaftlichen Stoffwechsels.
In der kapitalistischen Produktionsweise ist abstrakte, wertbildende Arbeit der konkreten Arbeit übergeordnet, der Verwertungsprozess hat Vorrang gegenüber dem Arbeitsprozess. Der Produktionsprozess ist hier also in erster Linie nicht eine Produktion zur Befriedigung von Bedürfnissen, sondern eine zur Schaffung von Tauschwerten.
Dies bedeutet, dass das Ziel einzelner Unternehmen die Erwirtschaftung von Profiten über die Aneignung des im Arbeitsprozess erzielten Mehrwerts ist. Die Konkurrenz zwingt die einzelnen Unternehmen, ihren Profit immer wieder zu reinvestieren, um nicht vom Markt verdrängt zu werden. Kapital wird wieder in den Produktionsprozess investiert, um einen „return to capital“, d. h. Profit, zu erwirtschaften. Die Akkumulation von Kapital ist daher Ziel und Bedingung des Produktionsprozesses. „Profite sind Voraussetzung für Akkumulation und Innovation – und umgekehrt: Profite sind nur realisierbar, sofern die Akkumulation nicht stoppt.“ Wenn Investitionen ausbleiben oder Profite nicht wachsen können, stockt die Zirkulation des Kapitals und dies zieht eine Krise nach sich.
Die Wachstumsdynamik, die so ein System auszeichnet, ist offensichtlich. Wie Joseph Schumpeter anmerkt, ist „Kapitalismus ein Prozess. Ein stationärer Kapitalismus ist daher ein Widerspruch in sich.“45 Aus diesem Grund ist das Festhalten am Wachstumsziel nicht nur ideologisch bedingt, sondern beruht auf strukturellen Eigenschaften des Kapitalismus, der „akkumulieren muss oder sterben.“46
John Bellamy Foster beschreibt diese Dynamik als „Tretmühle der Produktion“. Diese beinhaltet die systeminhärente Akkumulationsdynamik, bei der ein relativ kleiner Anteil der Bevölkerung auf der Spitze der sozialen Pyramide Reichtum akkumuliert, die langfristige Verschiebung von ArbeiterInnen aus der Selbstständigkeit in Lohnarbeitsverhältnisse, die zwingend ist für die kontinuierliche Ausweitung der Produktion, die Schaffung neuer Bedürfnisse, die einen „unstillbaren Hunger nach mehr nach sich ziehen“ und damit die Ausweitung der Märkte, die notwendig ist, um die im Verlauf von Akkumulation und Wachstum produzierten Waren absetzen zu können. Nicht zuletzt ist die ständige technologische Weiterentwicklung eine Dimension dieser Tretmühle. Die Konkurrenz zwischen einzelnen Unternehmen zwingt diese dazu, das akkumulierte Kapital in die Entwicklung von „revolutionären neuen Technologien“ zu investieren, um die Produktion anzukurbeln und auszuweiten. Darunter fallen auch energieeffizientere und „umweltfreundlichere“ Technologien, die letztlich das Ziel haben, die Arbeitsproduktivität zu steigern und immer Teil kapitalistischer Entwicklung sind. Letztlich haben all diese Technologien das Ziel, die Akkumulation anzukurbeln und dienen daher als Wachstumsmotor. Obwohl durch sie natürlich ökologische Verbesserungen erreicht werden können, werden die grundlegenden Widersprüche so nicht gelöst. Dieser Sachverhalt widerspricht der erwähnten Hoffnung auf eine rein technologische Lösung ökologischer Probleme. Das Besondere an der „Tretmühle der Produktion“ ist, dass jedeR, wie ein Hamster im Laufrad, Teil dieser Tretmühle ist und nicht aussteigen kann oder will.47
Der gesellschaftliche Stoffwechsel einer kapitalistischen Gesellschaft ist geprägt von ökonomischen Prozessen, die einem inneren Akkumulationsprozess unterworfen sind. Weil aber ökonomische Prozesse sowohl Prozesse der Werterzeugung – im Sinne der abstrakten Arbeit – als auch Prozesse der Transformation von Materialien und Energie – im Sinne konkreter Arbeit – sind, bleiben ökonomische Wachstumsprozesse immer auch an physische Wachstumsprozesse gekoppelt. „Soweit die expansive Dynamik der kapitalistischen Akkumulation auch die Produktion von Gebrauchswerten benötigt, folgt, dass die immanente Eigenschaft kapitalistischer Produktionsweise… die Tendenz besitzt die ökologischen Bedingungen von Nachhaltigkeit zu überschreiten.“ Der „kapitalistische Stoffwechsel“ überschreitet dabei jetzt schon ökologische Grenzen. Wie der bekannte Indikator des „ökologischen Fußabdrucks“ recht anschaulich zeigt, benötigt „die Menschheit“ – ohne auf die großen Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und Klassen einzugehen – 1,3 Planeten, um die gebrauchten Ressourcen und Absorptionssenken zur Verfügung zu stellen, d.h. unser Planet braucht ein Jahr und vier Monate, um zu regenerieren, was in einem Jahr verbraucht wird.48
Das asymmetrische Verhältnis zwischen den zwei Aspekten des kapitalistischen Arbeitsprozesses ist die Quelle für eine ganze Reihe von Irrationalitäten der globalen Verteilung von Arbeit und materiellen Ressourcen – im Bezug auf menschliche Bedürfnisse. Die Überordnung des wertbildenden Aspekts des Arbeitsprozesses „intensiviert die Insensitivität gegenüber materiellen Bedingungen, Ressourcen, und Grenzen durch ihre Indifferenz gegenüber dem konkreten Charakter des [Arbeits]prozesses.“49 Ökologische Prozesse werden der Logik der kapitalistischen Produktionsweise untergeordnet und damit der Logik des Profits, die eine eigene zeitliche und räumliche Dynamik besitzt. Ohne ein umfassendes Bild zeichnen zu können, möchte ich im Folgenden auf einige der damit verbundenen Veränderungen eingehen.
Während ökologische Wachstums-, Kreislauf- und Veränderungsprozesse in unterschiedlichen Zeit- und Raumdimensionen, zwischen Sekunden und Jahrtausenden auf Ebene der Gene bis zum globalen Ökosystem ablaufen, zählt im Kapitalismus schneller Profit und deshalb schnelle Prozesse. Die Akkumulationsdynamik führt deshalb nicht nur zu einem Wachstumstrend, sondern zu einer generellen Beschleunigung von Prozessen. Die Auswirkungen auf die Umwelt fasst Dürr zusammen: „Eine höhere Beschleunigung begünstigt im Wettlauf der insgesamt möglichen Prozesse immer die ungehindert schnell ablaufenden Abbauprozesse gegenüber den zeitfordernden Aufbauprozessen und bei diesen wieder die Reproduktionsprozesse gegenüber der Neuproduktion, der Innovation, dem eigentlichen Kreativen.“50 Schnell wachsenden Monokulturen, die rasch als Rohstoffe zur Verfügung stehen, wird deshalb der Vorzug gegeben, ohne die irreparablen Schäden an Böden und Ökosystem, die daraus entstehen, zu berücksichtigen. Auch die akute Überfischung der Meere ist eine direkte Folge der Unterordnung der natürlichen Reproduktionsbedingungen der Fischbestände unter die Logik des schnellen Profits. Die Kurzzeitperspektive kapitalistischer Investitionsentscheidungen wird zum essentiellen Faktor in gesellschaftlichen Entscheidungen. So lässt sich auch erklären, warum Ökonomen im Kampf gegen den Klimawandel so bescheidene Maßnahmen wie das Kyotoprotokoll wegen ihrer „Überhastetheit“ kritisieren.51
Der Unterordnung zeitlicher Prozesse folgt die Unterordnung des Raumes. Auf der Suche nach immer neuen Absatzmärkten und Profitquellen wird immer mehr Raum in Besitz genommen und in Wert gesetzt. Die Grenze sind nicht die kontinentalen Flächen. „Die Meeresböden, die Arktis und Antarktis, die Gletscherwelt der Hochgebirge, die tropischen Regenwälder, das erdnahe Weltall, die molekulare Nanoräume der Gene werden erschlossen, in Wert gesetzt und in Handelsware und Geld verwandelt.“52
Die Entwicklung immer besserer Transport- und Kommunikationstechnologien bewirkt eine Überwindung von räumlichen Grenzen und Beschränkungen. Die scheinbar zunehmende (ökonomische) Irrelevanz von Distanzen gipfelt in der Entwicklung von Großstädten. Zusammen mit der Entdeckung von fossilen Energieträgern kann ohne die Begrenzung durch Flächen und Transportwegen landwirtschaftliche Produktion und industrielle Produktion getrennt werden. Die daraus resultierende Störung reproduktiver Nährstoffzyklen – durch den Transport der Agrarprodukte in die Städte ohne gleichzeitige Rückführung der darin enthaltenen Nährstoffe in die Anbauregionen – resultiert in einem „metabolischen Spalt“53. Die zunehmende Unabhängigkeit von regionale Kontexte und spezifische Eigenschaften von Ökosystemen führt zu einer Verdrängung dezentraler, an ökologische Bedingungen besser angepasster Systeme durch eine zunehmen Zentralisierung.
Die Unterwerfung aller ökologischer Prozesse unter ökonomische ist Teil einer generellen Unterwerfung von unterschiedlichen, nicht ökonomischen „Werten“ unter den bestimmenden ökonomischen Wert. Kosten-Nutzen-Analysen sollen alle Faktoren auf eine monetäre Dimension reduzieren. Das komplexe, organisch verbundene Ökosystem wird dabei in von einander getrennte Stücke aufgetrennt und der Bewertung ausgesetzt. Doch Ökosysteme, wie z.B. der Regenwald, besitzen nicht nur eine ökonomische und ökologische Dimensionen, sondern stellen auch Lebensraum für menschliche Bevölkerungen mit eigenen politischen, kulturellen und ökonomische Ansprüchen und Wertvorstellungen dar, die nicht auf die monetäre Bewertung heruntergebrochen werden können.
Vermeintlich löst sich der Verwertungsprozess vom konkreten Arbeitsprozess bzw. von den materiellen Grundlagen und ökologischen Bedingungen ökonomischer Prozesse. Naturschranken werden immer weiter zurückgedrängt. Deswegen verwundert es nicht, dass in Diskussionen über eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft „natürliches Kapital“ und „menschengemachtes Kapital“ als austauschbar angesehen werden und die Möglichkeit einer von materiellen Prozessen unabhängigen, dematerialisierten Wirtschaft gesehen wird, bei der die natürlichen Grenzen immer weiter verschoben werden könnten. Doch der Verwertungsprozess läuft nicht unabhängig von den materiellen Bedingungen ab, in denen die Arbeitsprozesse stattfinden; diese bilden vielmehr die zwar untergeordnete, aber notwendige Grundlage des Verwertungsprozesses. Diese materiellen Bedingungen umfassen natürliche Bedingungen und produzierte Bedingungen, also Boden, Rohstoffvorkommen, Atmosphäre, Klima sowie Straßen, Kanäle etc. Wenn natürliche Bedingungen wegfallen – sei es, weil Ressourcen erschöpft sind oder weil durch Bodendegeneration fallende Erträge zu verzeichnen sind –, werden dem Arbeitsprozess und damit dem Verwertungsprozess Grenzen gesetzt. Der ökonomische Prozess der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals ist verbunden mit der Reproduktion natürlicher Prozesse, deren Aufrechterhaltung Teil des Arbeitsprozesses ist. Natürliche Bedingungen sind somit sowohl Bedingungen der Produktion als auch Subjekt des Arbeitsprozesses.54 Eigendynamiken und die Nichtmanipulierbarkeit vieler ökologischer Prozesse machen ökonomische Prozesse damit abhängig von natürlichen Grenzen. Die Überordnung des Verwertungsprozesses über konkrete Arbeitsprozesse in einer kapitalistischen Produktionsweise, die Desensibilisierung gegenüber ökologischen Prozessen führt dazu, dass die entstehenden ökologischen Zerstörungen im Zuge kapitalistischer Produktion eine Krise in der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals auslöst. Besonders in den Branchen Energiegewinnung, Rohstoffindustrie, Land- und Forstwirtschaft, in denen die „ursprüngliche Aneignung der Natur“ stattfindet, kommt es zu einer Konzentration von Widersprüchen an den natürlichen Bedingungen der kapitalistischen Reproduktion. Diese Produktionssektoren werden so zu den „Brennpunkten“, auf denen der wachsende Materialverbrauch aller anderen sozialen Aktivitäten aufbauen muss und aufbaut.55
So wichtig der Kampf um ökologisch nachhaltigere Produktion und Konsumption im kapitalistischen System ist, bleibt es also doch der durch die Akkumulation angetriebene kapitalistische Stoffwechsel an sich, den ökologische Bewegungen herausfordern müssen, wenn sie die Treibkraft hinter physischem Wachstum und ökologischen Zerstörungen aushebeln wollen. Zeiten der Krise bergen immer auch die Möglichkeit eines Umbruchs und die Chance, das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Natur, den gesellschaftlichen Stoffwechsel, jenseits des kapitalistischen Stoffwechsels nachhaltig zu gestalten.
Doch wie kann ein solcher post-kapitalistischer Stoffwechsel gedacht werden? Bedeutet nicht die Aufgabe physischen Wachstums die Aufgabe von Fortschritt und menschlicher Entwicklung per se? Eine statische Gesellschaft?
Die Konzentration auf quantitatives Wachstum verstellt den Blick darauf, „dass „Entwicklung“ nicht einen unilinearen Prozess einer quantitativen Expansion der Produktivkräfte darstellt, sondern eher als Bandbreite qualitativ unterschiedlicher Wege gesehen werden muss, gesellschaftliche Möglichkeiten zu verwirklichen“56. Die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise ist ein wichtiger und notwendiger Schritt in Richtung einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft, aber keine Garantie für die Existenz einer solchen. Dies bedeutet, dass der Kapitalismus nicht die Wurzel allen ökologischen Übels ist, sondern auch eine sozialistische Gesellschaft einen gesellschaftlichen Stoffwechsel besitzt – mit einer „spezifischen Kombination aus ermöglichenden und begrenzenden Bedingungen“, deren ökologische Auswirkungen eine komplexe Kombination sozialer Praxen und kontextualer Bedingungen sind.57 Negative Auswirkungen auf Ökosysteme sind nicht nur Teil einer kapitalistischen Gesellschaft, sondern existierten auch in präkapitalistischen und nicht industrialisierten Gesellschaften. Unveränderliche bzw. unkontrollierbare natürliche Prozesse – wie organische Wachstumsprozesse, Klimaprozesse u.v.m – liefern die Bedingungen, unter denen menschliche Gesellschaften funktionieren. In dem Sinn geht es weniger um die Überwindung natürlicher Grenzen zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, als vielmehr um die bewusste Anpassung an ökologische Gegebenheiten und einen sorgfältigen Umgang mit unvorhersehbaren Risiken und irreversiblen Prozessen. Ziel technologischer Entwicklungen und wissenschaftlicher Forschung sollte also die Erhöhung der Anpassungsfähigkeit menschlicher Gesellschaften an ökologische Prozesse und das Erkennen von Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Bedürfnisbefriedigung sein. Wenn nichtmanipulierbare Bedingungen und über Arbeitsprozesse vermittelte Elemente der Gesellschaft-Natur-Interaktion berücksichtigt werden, kann zwischen solchen Technologien unterschieden werden, „die natürliche Grenzen überschreiten und solche[n], die die Adaptionsfähigkeit angesichts natürlicher Bedingungen erhöhen.“ 58 Die „ungeplante Kontrolle der unsichtbaren Hand des Marktes“ über die Anwendung technologischer Entwicklungen würde durch die „sichtbare Hand“ der demokratischen Planung ersetzt werden.59 Die Demokratisierung von Entscheidungsfindungen würde es mit sich führen, dass sich eine ökologisch bewusste menschliche Gesellschaft auch tatsächlich für ökologisch vertretbare Produktion und Technologie entscheiden könnte. In einer wirklich demokratischen und ökologisch bewussten Gesellschaft könnte damit das Prinzip der „ökologische Nachhaltigkeit“ als „regulierendes Gesetz“ gesellschaftlicher Entscheidungen dienen, das die ko-evolutionäre Entwicklung menschlicher Gesellschaft mit der Natur bestimmt.60
1 Ein interessanter Text über die Hintergründe der Nahrungsmittelkrise findet sich auf http://www.sozialismus.net/content/view/215/140/
2 Foster, John Bellamy: Ökologie der Zerstörung; in: Perspektiven 2 (2007).
3 Altvater, Elmar: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen (Münster 2005).
4 Zurzeit wird mehr Energie in Form fossiler Energieträger in die Landwirtschaft gesteckt, als Energie in Form von Nahrung geerntet werden kann. Energetisch gesehen ist die industrielle Landwirtschaft ein Verlustgeschäft. Dies zeigt die Abhängigkeit der industriellen Landwirtschaft von fossilen Energieträgern.
5 Die scheinbar saubere Alternative zu fossilen Energieträgern – nukleare Kraftwerke – wird immer wieder in die Diskussion gebracht (z.B. auch von dem Biophysiker und Entwickler der Gaia-Hypothese James Lovelock), weil die Zeit für einen Umstieg auf Solarenergie nicht oder zu langsam möglich scheint. Die Gefahr der Atomkraft liegt nicht nur in der Möglichkeit katastrophaler Unfälle, sondern auch im ungelösten Problem der Lagerung radioaktiven Materials und Abfalls. Ganz abgesehen davon, dass auch Uran ein endlicher Rohstoff ist.
6 Zu Peak Oil vgl. Foster, John Bellamy: Peak Oil and Energy Imperialisms, http://www.monthlyreview.org/080707foster.php bzw. Altvater, a.a.O.
7 Altvater, Elmar: Ein System, das die „Springquellen des Reichtums“ untergräbt: die Erde und den Arbeiter; in: Marx21 5 (2008), http://marx21.de/content/view/617/1/
8 Altvater: Das Ende …, a.a.O.
9 MIT=Massachusetts Institute of Technology
10 In diesem Artikel liegt der Fokus auf der Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und ökologischen Bedingungen. Dass es noch andere Prozesse gibt, die die Wachstumsdynamik oder besser Akkumulationsdynamik kapitalistischer Systeme nicht reibungslos ablaufen lässt, ist klar.
11 Meadows, Donella H. et al.: Limits to growth. The 30-year update (White River Junction 2004).
12 Ebd.
13 Zit. n. Foster, John Bellamy: Thy Tyranny of the Bottom Line; in: ders. (Hg.): Ecology against capitalism (New York 2002), S. 10.
14 Meadows, a.a.O.
15 Foster, John Bellamy: Ecology against Capitalism; in: ders. (Hg.): Ecology against capitalism, a.a.O.
16 Wachstum war nicht immer ein Schlüsselbegriff der Ökonomie. Erst seit den 1920er Jahren rückte wirtschaftliches Wachstum ins Zentrum des Interesses und es entstanden erste Wachstumstheorien. „Noch in der klassischen Politischen Ökonomie von Adam Smith oder David Ricardo spielt Wachstum im Unterschied zu Verteilung keine herausgehobene Rolle. Die Kategorie gab es einfach nicht im Kanon der politischen Ökonomie.“ Altvater: Das Ende …, a.a.O.
17 Altvater: Das Ende …, a.a.O.
18 Easterlin, Richard: Growth Triumph. The Twenty-first century in historical perspective (Ann Arbor 1996), S. 135.
19 Meadows, a.a.O.
20 Aus der Kritik am BIP als Wohlstandindikator sind einige neue Indikatoren entstanden. Zum Beispiel wurden beim Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) u.a. Faktoren wie Umweltverschmutzung und Einkommensverteilung berücksichtigt. Es zeigte sich, dass ab einem gewissen „Wohlstandslevel“ weiteres Wirtschaftswachstum keine Erhöhung von Lebensqualität brachte.
21 Altvater: Das Ende …, a.a.O.
22 Die Annahme der Environmental Kuznets Curve (EKC) weist in diese Richtung. Obwohl ein Zusammenhang zwischen BIP-Wachstum und verringerten Emissionen für manche Schadstoffe nachgewiesen werden konnte, kann kein genereller Trend erkannt werden. Zur Debatte um die EKC: http://www.ecoeco.org/pdf/stern.pdf
23 „Dematerialisierung“ ist empirisch nicht nachzuweisen. Zwar gibt es eine relative Entkopplung zwischen Wirtschaftswachstum und physischem Wachstum, der Ressourcenverbrauch wächst aber trotzdem. Auch die Hoffnung einer „leichteren“ Dienstleistungsindustrie ist überzogen. „Krankenhäuser, Schulen, Banken, Geschäfte zählen zum Dienstleistungssektor, doch man muss nur die LKWs beobachten, die Essen, Papier, Treibstoff und Ausrüstung bringen, oder Abfall und Abwasser messen, um zu wissen, dass die Dienstleistungsgesellschaft einen hohen physischen Durchsatz benötigt.“ (Meadows, a.a.O.).
24 Hawkins, Paul et al.: Natural Capitalism: Creating the new Industrial Revolution (Boston 2000), http://www.natcap.org/
25 Ehrlich, Paul R./ Ehrlich, Anne: The Population Bomb (New York 1995).
26 Foster: The Tyranny …, a.a.O.
27 Barry Commoners „The Closing Circle“ ist hier ein gute Ausnahme. Während die Auswirkungen vieler „kapitalistischer Technologien” kritisiert werden, wird Technologie per se nicht abgelehnt. Seine Antwort auf die „Grenzen des Wachstums“-Diskussion war eine, wie er es nannte, „ökosozialistische“.
28 Das Argument ist hier nicht, dass Bevölkerungswachstum keine ökologischen Probleme mit sich bringt oder dass die menschliche Bevölkerung unendlich wachsen kann. Eher soll auf die komplexen Vorgänge aufmerksam gemacht werden, die sowohl Bevölkerungswachstum regeln als auch den unterschiedlichen ökologischen Impakt menschlicher Bevölkerung in unterschiedlichen Gesellschaften. Auch das „Bevölkerungsproblem“ darf daher nicht von dem historischen Kontext herausgelöst als eine fixe Grenze dargestellt werden. Wie die Diskussion zur Zeit geführt wird, endet sie zumeist in reaktionären Forderungen nach strikten Geburtenkontrollen und Zuwanderungsstopp in industrialisierte Länder. Zur Diskussion um „Malthusianer“ vgl. Foster, John Bellamy: Malthus‘ Essay on Population at Age 200, http://findarticles.com/p/articles/mi_m1132/is_7_50/ai_53590413.
29 Foster, John Bellamy: Marx’s ecology (New York 2000).
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Odum, Eugene et al.: Fundamentals of Ecology (Belmont 2004).
33 In diesem Artikel wird nicht auf empirische Untersuchungen des gesellschaftlichen
Stoffwechsels eingegangen. Empirischer Forschung im Sinne einer Material- und Energiefluss-Analyse von staatlichen und nationalen Stoffwechseln wird u.a. vom Institut für Soziale Ökologie am IFF in Wien betrieben, das das Konzept des gesellschaftlichen Stoffwechsels anwendet und weitere Forschung bzw. konzeptuelle Erweiterungen daran knüpft. Dieser Artikel stützt sich aber hauptsächlich auf die Interpretation des gesellschaftlichen Stoffwechsels von John Bellamy Foster.
34 Zur Klimadiskussion siehe den Beitrag von Franzikus Forster und Michael Botka in dieser Ausgabe.
35 Foster: Marx’s ecology, a.a.O.
36 Ebd.
37 Ebd.
38 Marx, Karl: Das Kaptial. Band 1 (MEW 23) (Berlin 1962), S. 192-198.
39 Ebd., S. 161
40 Neue biotechnologische und gentechnische Forschung versucht natürlich auch, diese Prozesse kontrollierbar zu machen. Allerdings sprechen mehrere Aspekte dagegen. Einerseits gibt es unvorhersehbare ökologische Risiken mit der Ausbringung genetisch modifizierter Organismen (GMO), andererseits auch gesundheitliche Risiken für Menschen. Z.B. könnten GMO so verändert werden, dass sie weniger Nährstoffe bräuchten, was bedeuten würde, dass auch weniger Nährstoffe in der Nahrung enthalten wären.
41 Benton, Ted: Marxism and Natural Limits; in: ders.: The Greening of Marxism (New York 1996).
42 Foster: Marx’s ecology, a.a.O.
43 Marx, a.a.O., S. 56-61
44 Altvater: Ein System …, a.a.O.
45 Foster: Ecology Against Capitalism, a.a.O. Gerade in der Nachhaltigkeitsdebatte wird von AutorInnen wie Herman Daly in Anlehnung an klassische Wirtschaftstheoretiker immer wieder die Möglichkeit eines stationären Kapitalismus betont.
46 Ebd.
47 Foster, John Bellamy: Global Ecology and the Common Good; in: ders.: Ecology against Capitalism, a.a.O.
48 http://www.footprintnetwork.org/en/index.php/GFN/page/world_footprint/ Natürlich ist hier wichtig zu betonen, dass der Verbrauch ungleich verteilt ist und dass es Klassenunterschiede sowie Unterschiede zwischen industrialisierten Ländern und Entwicklungsländern gibt.
49 Benton, a.a.O.
50 Dürr, Hans Peter: Struktur, Wertschöpfung und Nachhaltigkeit (Münster 1998), zit. n. Altvater: Das Ende…, .a.a.O., S. 74
51 Foster: Ecology Against Capitalism, a.a.O.
52 Narr, Wolf Dieter: Introvertierte Imperialismen und ein angstgeplagter Hegemon; in: Prokla 133 (2003), zit. n. Altvater: Das Ende …, a.a.O.
53 Foster: Ökologie der Zerstörung, a.a.O.
54 Benton, a.a.O.
55 Ebd.
56 Ebd.
57 Ebd.
58 Ebd.
59 Löwy, Michael: Eco-Socialism and Democratic Planning; in: Coming to terms with nature. Socialist Register 2007 (London 2006).
60 Benton, a.a.O.