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Gaza – Herausforderung für die Linke
von Gruppe Perspektiven

„Maybe our thinking is very simple, and we’re lacking the nuances and annotations that are always so necessary in analyses, but to the Zapatistas it looks like there’s a professional army murdering a defenseless population.” (Subcomandante Marcos, 12. Jan. 2009)

Die Operation „gegossenes Blei“, die von der israelischen Armee seit dem 27. Dezember 2008 im Gaza-Streifen durchgeführt wird, ist der umfangreichste und blutigste Angriff auf die palästinensische Bevölkerung seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967. Die genauen Zahlen der Toten und Verwundeten müssen und können hier nicht wiedergegeben werden: erstens, weil unabhängige Berichterstattung aus Gaza unmöglich gemacht wird (die israelische Armee lässt keine internationalen JournalistInnen nach Gaza); und zweitens, weil die Angriffe immer noch andauern und uns täglich neue Meldungen erreichen, die die Opferzahlen erhöhen. Was diese Attacken so tödlich macht, ist die Tatsache, dass die israelische Regierung offenbar entschlossen ist, ihre ganze militärische Übermacht einzusetzen, um keinen Zweifel daran zu lassen, wer in der Region das Sagen hat. Die Zerstörung der zivilen Infrastruktur Gazas, die Bomben auf Schulen, Moscheen, Rettungswägen und eine Universität, ja selbst Angriffe auf UN-Hilfskonvois werden zumindest in Kauf genommen, wenn nicht bewusst als Einschüchterungsmaßnahmen eingesetzt. AdressatInnen dieser Demonstration der Stärke sind in erster Linie die Bevölkerung Gazas und ihre politischen RepräsentantInnen; in zweiter Linie die PalästinenserInnen im Westjordanland, denen eindrucksvoll gezeigt wird, dass Widerstand gegen die Besatzungsmacht nicht geduldet wird; und schließlich die Feinde Israels in Syrien, im Libanon und im Iran, die nach der ruhmlosen Performance der Israel Defense Forces gegen die Hizbollah 2006 daran erinnert werden sollen, über welche militärische Schlagkraft Israel weiterhin verfügt. Den Preis dafür zahlen die Menschen im Gazastreifen mit ihren Leben.

Der Krieg gegen Gaza wird aber nicht nur mit SoldatInnen, Panzern, Kampfbombern, und Kriegsschiffen geführt, sondern auch über die Medien. Es braucht schon eine gewaltige Propaganda-Anstrengung, um die Weltöffentlichkeit davon zu überzeugen, dass Israel hier einen gerechten „Krieg gegen den Terror“ führt, in der Halbwahrheiten, aus dem Zusammenhang gerissene Fakten und plumpe Lügen zu einer dicken diskursiven Nebelwand aufgetürmt werden. Wenn wir hier also nur auf die offensichtlichsten Mythen rund um den Krieg gegen Gaza aufmerksam machen, dann nicht um uns auf ein infantiles „aber die anderen haben angefangen“-Spiel einzulassen, sondern weil diese Argumente erst die Unterstützung und Rechtfertigung der Massaker ermöglichen und das kurzfristig wichtigste Ziel jeder linken Intervention– ein sofortiger Waffenstillstand und die Öffnung der Blockade Gazas – nur durch steigenden internationaler Druck durch eine Öffentlichkeit, die sich nicht von Kriegslügen blenden lässt, erreicht werden kann.

Die israelische Regierung behauptet, sie habe den PalästinenserInnen große Zugeständnisse gemacht, als sie 2005 das Militär aus dem Gazastreifen abzog und die illegalen Siedlungen auflöste. Die Bevölkerung von Gaza habe sich daraufhin jedoch als undankbar erwiesen, Israel weiterhin als Feind betrachtet und zu allem Überdruss schließlich auch noch die Hamas in die Regierung gewählt. Tatsächlich jedoch war die Räumung des Gazastreifens durch Israel stets eine Farce, ein taktisches Manöver, um die palästinensische Bevölkerung weiterhin kontrollieren zu können, ohne sich dem zermürbenden Besatzungsalltag in dem winzigen, extrem dicht besiedelten Küstenstreifen aussetzen zu müssen. So wurde schon 2005, zwei Jahre bevor die Hamas-Regierung an die Macht kam, der Gazastreifen zum größten Freiluftgefängnis der Welt gemacht: durch Ausgangssperren, Zerstörung von Infrastruktur, die Überwachung des Luftraums und gezielte Tötungen oder Verhaftungen palästinensischer PolitikerInnen und AktivistInnen. Im Zeitraum von 2005 bis 2007, also zwischen der Räumung der Siedlungen und der Wahl von Hamas, wurden 1.290 PalästinenserInnen im Gazastreifen von der israelischen Armee getötet, davon 222 Kinder. Ein Grund für den Wahlsieg der Hamas im Jahr 2006 war schließlich auch – neben der offensichtlichen Korruption der alten Fatah-Elite – dass sie sich angesichts der anhaltenden Unterdrückung der PalästinenserInnen durch den israelischen Staat als konsequente Kraft des Widerstands präsentieren konnte. Ab 2007 wurde die Situation weiter eskaliert, als Israel (mit Unterstützung der USA und der EU) die Grenzen zum Gazastreifen komplett dicht machte und ein Embargo verhängte. Dies war nicht etwa eine Reaktion auf Guerillaangriffe oder Selbstmordattentate, sondern die Antwort auf das nicht genehme Wahlergebnis in den palästinensischen Gebieten. Seither sind 1,5 Millionen Menschen auf 360 km2 (davon ein Großteil Wüste) eingeschlossen, Elektrizität gibt es nur wenige Stunden am Tag, Lebensmittel sind stets knapp und im Sommer 2008 stand die Arbeitslosenrate bei 45 Prozent. Es ist auch ein Mythos, dass die Hamas in den Monaten vor dem Angriff nicht auf die Bemühungen Israels um ein Waffenstillstandsabkommen eingegangen wäre. Tatsächlich gab es eine Waffenruhe, die im Juli in Kraft trat und dazu führte, dass von Juli bis Oktober die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen durch die Hamas praktisch eingestellt wurden. Doch die Blockade Gazas wurde trotzdem nicht gelockert, und schließlich war es Israel, nicht die Hamas, die den Waffenstillstand im November 2008 brach, woraufhin Hamas die Raketenangriffe wieder aufnahm.

Diese Klarstellungen bedeuten nicht, dass die Strategie der Hamas, sich auf den militärischen Widerstand zu konzentrieren und Raketen ziellos auf israelische ZivilistInnen zu schießen, unterstützenswert ist. Aber sie zeigen, dass dieser Konflikt kein Krieg ist, in dem sich zwei mehr oder weniger gleich starke Kräfte bekämpfen, die beide die gleiche Schuld an der aussichtslosen Lage trifft und zu dem man sich wenn überhaupt aus einer Position der Neutralität und Äquidistanz äußern darf. Nein, dies ist ein Massaker, verübt durch eine Besatzungsmacht an einer seit über sechzig Jahren unterdrückten Bevölkerung. Ein gerechter Friede – und nur ein solcher kann von Dauer sein – hat die Öffnung der Grenzen zu Gaza und den Abzug Israels aus den 1967 besetzten Gebieten zur Bedingung und kann letztlich wohl nur in einem gemeinsamen, säkularen Staat verwirklicht werden, der all seinen BürgerInnen unbesehen von Herkunft und Religion gleiche Rechte zugesteht. Wie der Weg dorthin verlaufen wird, kann niemand vorhersagen. Dass dieser Krieg aber wenig dazu beitragen wird, sondern vielmehr der unversöhnlichen Rechten in beiden Lagern noch mehr UnterstützerInnen in die Hände treibt, liegt aber auf der Hand.

Angesichts dieser Situation halten wir die Reaktion weiter Teile der österreichischen Linken für beschämend. Während noch im Jahr 2003 die Proteste gegen den Irak-Krieg eine breite Bewegung auf die Straße brachten, fallen heute sozialdemokratische, grüne oder gewerkschaftliche Kräfte ebenso wie große Teile der radikalen Linken durch Abwesenheit auf den Demonstrationen gegen Israels Krieg auf. Dies ist nicht zuletzt Ergebnis eines ideologischen Stellungskriegs, den eine kleine, aber effektive Gruppe ehemaliger Linker seit einigen Jahren führt, um jede Kritik an Israels Politik als antisemitisch zu denunzieren und die Kriegstrommel für die USA und Israel zu rühren. Selbst wenn der Großteil der Linken den kruden Ausführungen der „Antideutschen“ in Österreich nicht folgt, so haben deren Kampagnen doch zu einer nachhaltigen Verunsicherung geführt. Das heikle Thema Palästina wird so aus den Debatten auf der Linken verdrängt, ziehen sich doch immer mehr Gruppen und Einzelpersonen auf eine scheinbar neutrale Position zurück („beide Seiten sind doch reaktionär“), wenn sie nicht überhaupt auf eine Meinung zu verzichten glauben können. Im Ergebnis waren die beiden großen Demonstration in Wien gegen die israelische Aggression zwar erfreulich groß und insbesondere für Menschen mit muslimischem und migrantischem Hintergrund ein Anziehungspunkt; zugleich muss jedoch festgestellt werden, dass der Charakter der Demonstrationen in Bild und Ton stark von den Kräften des politischen Islam geprägt war. Die Effekte dieser Situation können in mehrerer Hinsicht verheerend sein. Erstens wird den Menschen in Palästina vermittelt, dass die Einzigen, auf die sie sich in Sachen internationaler Solidarität verlassen können, ihre “Glaubensbrüder und -schwestern” sind, wodurch der Konflikt noch stärker als einer zwischen Religionen oder Kulturen wahrgenommen wird. Zweitens können vereinzelt auf den Demos vorhandene antisemitische bzw. den Nationalsozialismus verharmlosende Schilder oder Sprüche nur schwer kollektiv konfrontiert oder zumindest marginalisiert werden. Und schließlich verbaut sich die Linke die Chance darauf, mit genau jenen migrantischen Jugendlichen in Kontakt zu kommen, die es für eine emanzipatorische Perspektive zu gewinnen gilt. In Deutschland, wo die Situation ähnlich ist, bringt der Attac-Aktivist Pedram Shayar das Dilemma auf den Punkt: „Während in Athen und Malmö die linksradikalen und die Arab-Kids gemeinsam kämpfen und auf Barrikaden Freundschaften schließen, verspielt die Linke hier das Terrain der migrantischen Milieus für Jahre, vielleicht für eine ganze Generation“. Auch hier in Österreich steht die Linke vor der Herausforderung, jenseits von falscher Neutralität auf der einen und unkritischer „antiimperialistischer“ Solidarität mit islamistischen Bewegungen auf der anderen Seite eine internationalistische Position auf Seiten der Unterdrückten und Rebellierenden zu finden.





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