Rezension: 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, Regie: Cristian Mungius, Rumänien 2007
„4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ geht unter die Haut. Der Film erzählt die Geschichte der jungen Studentin Gabita, die sich – begleitet von ihrer Freundin Otilia – im Rumänien der späten 1980er Jahre einer illegalen Abtreibung unterzieht. In zurückhaltend beobachtender und gleichzeitig sehr intensiver Weise lässt Mungius die/den Zusehende/n an diesen dramatischen Stunden der Protagonistinnen teilnehmen und hebt die individuelle Erfahrung aus dem Kontext historischer Realität hervor.
Mungius siedelt seine Geschichte, die als Teil des Filmprojekts „Geschichten aus dem Goldenen Zeitalter“ (zynischerweise charakterisierte Nicolae Ceauşescu die Jahre seiner politischen Führung als solches) eine Geschichte aus dem Alltag im „sozialistischen“ Rumänien darstellen soll, in diesem realen Rumänien an. Bereits 1966, kurz nach seiner Machtübernahme, verbot Ceauşescu die Abtreibung, wie auch empfängnisverhütende Mittel. Das Volk des „sozialistischen“ Rumäniens sollte sich schnell vermehren. Mungius erinnert sich in einem Interview – er selbst ist 1968 geboren – wie rasant die Bevölkerungszahl zu dieser Zeit stieg, die Zahl der Klassen in den Schulen sei, so Mungius, von zwei bis drei auf neun bis zehn, die Durchschnittszahl der SchülerInnen pro Klasse von 28 auf 36 gewachsen. Vor diesem Hintergrund hätten mehr und mehr Frauen sich einer illegalen Abtreibung unterzogen, was vorwiegend als Akt der Rebellion und Widerstand gegen das Regime wahrgenommen worden sei.
Gabita und Otilia teilen sich ein Zimmer im StudentInnenwohnheim, dessen trostlose Atmosphäre aus jeder Ecke schreit, der Kauf einer Schachtel Zigaretten vom Schwarzhändler scheint das einzige Symbol für Freiheit und Lebensgenuss im farblos gezeichneten Leben der jungen Frauen. Nachdem Gabita ihrer Freundin anvertraut, dass sie schwanger ist, wird bald klar, dass die einzige Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen, eine illegale Abtreibung ist – Abtreibungen waren in Rumänien in der Zeit zwischen 1966 und 1989 nicht nur gesetzlich verboten, sondern auch streng geahndet.
Otilia gelingt es mit Hilfe ihres Freundes Adi, das nötige Geld für den Eingriff aufzutreiben. Ein Gespräch zwischen den beiden im Verlauf des Films macht deutlich, wieso sie ihren Freund nicht in das Vorhaben einweiht, er verweigert die Benützung von Kondomen, ohne sich der daraus möglicherweise resultierenden Konsequenzen auch nur im Ansatz bewusst zu sein. Otilia organisiert ein Hotelzimmer, was sich als äußerst schwieriges Unterfangen herausstellt und einmal mehr die von Angst und Unterdrückung geprägte Atmosphäre im repressiven Staat eindringlich vermittelt. Dort haben sich die beiden Frauen mit Herrn Bebe verabredet, dem Mann, der sich für eine vorher vereinbarte finanzielle Gegenleistung bereit erklärt, den Abbruch der Schwangerschaft vorzunehmen, er wird Gabita eine Sonde einführen, die den Fötus absaugt. Herr Bebe entpuppt sich als grausam und skrupellos. Er stellt zunächst fest, dass sich Gabita bereits in einem Schwangerschaftsstadium befindet, in welchem ein Abbruch vom Gesetz als Mord qualifiziert wird und weiß die Notlage der Frauen auszunützen. Er schüchtert sie massiv ein, um sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, ehe er die brutale Prozedur einleitet und die beiden Frauen wieder ihrem Schicksal überlässt.
Während Gabita im Bett liegen bleiben muss, besucht Otilia auf Drängen ihres Freundes die Geburtstagsparty seiner Mutter, wo die junge Frau sich in einer Runde gutbürgerlicher Erwachsener wieder findet, die sie mit vermeintlichen Ratschlägen und Lebensweisheiten überhäufen und ihr ein Gefühl der Unterlegenheit aufzwängen, nicht zuletzt aufgrund ihrer „einfachen Herkunft“.
Mungius gelingt es mit seiner nahezu dokumentarischen Erzählweise die Aufmerksamkeit des/der Zusehenden in pausenloser (An)spannung zu halten und verlangt ihnen dabei viel ab. Mit ungeschminkten Dialogen und einer mit Bedacht unspektakulär gestalteten Kulisse hält er die schrecklichen Erfahrungen der beiden Frauen fest und bettet sie in den politischen Hintergrund, ohne dass dieser explizit Erwähnung findet. Die Schauspieler/innen überzeugen durch ein Höchstmaß an Authentizität und Hingabe und wecken dabei große Gefühle, denen man/frau sich nicht zu entziehen vermag.
Mit langen aber nie langatmigen Sequenzen in Echtzeit lässt der Regisseur die Zusehenden den einschneidenden Tag im Leben der beiden Frauen auf einzigartige Weise miterleben und öffnet die Augen für einen wahrhaftigen und unverfälschten Einblick in eine entsetzliche Wirklichkeit. Die Entscheidung, welche der beiden Frauen die Hauptrolle spielt, überlässt er dem/der Zusehenden selbst. Durch einen ständigen Wechsel zwischen der Perspektive der naiv und unbeholfen wirkenden Gabita und der sich kämpferisch gebenden Otilia erzeugt Mungius einen spannenden Kontrast, der die andauernd beunruhigende Stimmung in die Tiefe hin anreichert. In seiner Geradlinigkeit außergewöhnlich fordert er die Auseinandersetzung mit einem wichtigen Thema und erschafft mit „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ einen besonderen Film, der mindestens das Prädikat besonders wertvoll verdient.