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Der andere Iran
von Behrooz Rahimi

Der aktuelle Atomkonflikt sowie das Bild der Islamischen Republik unter der Herrschaft des konservativen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad als mittelalterliches Regime dominiert die westliche Berichterstattung über den Iran. Die US-Regierung stilisiert das Land als Terrorstaat, der nur mit militärischen Mitteln bezwungen werden kann. Tatsächlich aber gibt es eine lange Geschichte von Widerstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung durch despotische Herrscher und deren westliche Verbündete. Diese Tradition ist im heutigen Iran immer noch lebendig. Von Behrooz Rahimi.

Der Iran unterlag im 20. Jahrhundert einer langen Periode ausländischer Kontrolle und Ausbeutung. Grund dafür war die geostrategische Lage als Brücke zwischen der Arabischen Welt, Europa und Asien sowie dessen Reichtum an Erdöl.

Wenn wir uns über die aktuelle Situation der „Islamischen Republik“ klar werden wollen, müssen wir zu den Wurzeln der Entstehung dieses Systems zurückkehren. Diese liegen in einem der größten sozialen und politischen Umbrüche, der den Mittleren Osten im 20. Jahrhundert erschütterte, der iranischen Revolution von 1978/79.

Shahdiktatur und Revolution

Während der 60er und 70er Jahre fanden im Iran massive ökonomische und soziale Veränderungen statt. Durch die Profite aus den Ölgeschäften konnte in westliche Technologie, Industrialisierung und eine begrenzte Verbesserung der Gesundheits- und Bildungssituation investiert werden. Der Pahlavi-Staat1, unterstützt vom Westen, war dabei die Hauptkraft in der Akkumulation von Kapital. Doch nur eine kleine Minderheit konnte von diesen Entwicklungen profitieren. Die von den USA und dem Westen unterstützte Shah-Regierung verhalf einer kleinen Oberschicht von Kapitalisten, Großgrundbesitzern und Staatsbürokraten zu Reichtum, während die Mehrheit der IranerInnen in wachsender Armut leben musste. Obwohl das Bruttonationaleinkommen pro Kopf 1978 bei mehr als 2.000 Dollar lag, hatten 87% der Dörfer keine Schule, nur 1% besaß medizinische Einrichtungen, die Preise stiegen kontinuierlich und 40-50% des Budgets wurden für Militärausgaben verwendet.2
Durch die Einführung kapitalistischer Produktionsverhältnisse in die iranische Landwirtschaft konnten viele Menschen gegen die Konkurrenz nicht mehr bestehen. Sie wanderten in die Städte, wo sie in Wellblechstädten und Armut leben mussten. Gleichzeitig verloren auch die traditionell privilegierten Klassen an Einfluss und Wohlstand. Die Geistlichkeit büßte einen großen Teil ihres Großgrundbesitzes nach den Bodenreformen des Shahs ein und die Bazaris (Händler und Kaufleute der Bazare) litten unter der Konkurrenz in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Diese ökonomischen und sozialen Verhältnisse wurden von einem massiven Repressionsapparat gesichert.

Die Revolution von 1978-79 war das Resultat enormer Unzufriedenheit mit wachsenden sozialen und ökonomischen Disparitäten, einer Wut gegen die brutale politische Repression und dem Ausschluss der Mehrheit aus dem politischen System des Shahs. Die Bewegung gegen diese politische und soziale Unterdrückung wurde von ArbeiterInnen, Frauen, StudentInnen sowie nationalen und religiösen Minderheiten getragen. Sie brachten eines der brutalsten vom Westen unterstützten Regime im Mittleren Osten zu Fall.
Der Kampf der iranischen ArbeiterInnen war neben der StudentInnen- und Frauenbewegung ein wesentliches Element der Revolution. Sie hatten durch ihren Generalstreik der alten Ordnung den letzten Stoß verpasst und eine selbstbewusste radikale Wandlung durchgemacht. Sie begannen sich in ArbeiterInnenräten (Shoras) zu organisieren und übernahmen, nachdem die alten Manager und Bosse geflohen waren, die Kontrolle über die Produktion in den Fabriken.3

Die Entwicklung der Islamischen Republik

Die nach dem Sturz des Shah-Regimes erkämpfte politische Freiheit ermöglichte es sozialen Gruppen, Parteien und Initiativen zum ersten Mal seit 26 Jahren sich frei zu organisieren. Das Streben nach politischer Partizipation und sozialer Gerechtigkeit prägten diese Zeit. Obwohl die Geistlichen durch die Unterstützung der städtischen verarmten Massen und der religiösen Mittelschicht die Führung in der Revolution gewinnen konnten, war ihre Macht noch nicht gefestigt. Allerdings führte das Versagen der linken und säkularen Kräfte4 dazu, dass sie diese immer weiter ausbauen konnten. Als Vehikel zur Massenverankerung der islamischen Bewegung dienten die sogenannten Komiteh (politische Gremien), die aus den Moscheen heraus die administrativ-politischen Aufgaben übernahmen. Damit verbunden entstand die Basidji-Organisation, eine Art Volksmiliz mit dem Ziel, die Menschen für die Islamische Revolution zu mobilisieren.

Machtkonsolidierung

Die 80er Jahre standen zunächst im Zeichen materieller Zugeständnisse an die Basis der Islamischen Bewegung. Das vom Shah und seinen Verbündeten konfiszierte Vermögen und Eigentum wurde durch Islamische Stiftungen (Bonjad) verwaltet und umverteilt. Die religiöse Mittelklasse, die städtischen SlumbewohnerInnen und ArbeiterInnen, die den Islamischen Staat unterstützen, wurden bei Anstellungen und Bildungsmöglichkeiten begünstigt. Dieses Vorgehen erklärt den Rückhalt des Regimes in den ärmeren iranischen Schichten. Dies war jedoch verbunden mit der Konsolidierung der Macht der islamischen Eliten. Schleichend wurden die Strukturen von unten, welche sich während der Revolution etabliert hatten, ausgehöhlt. Zum Beispiel wurden die ArbeiterInnenschoras wieder aufgelöst und die Kontrolle über die Betriebe ging in die Hand „islamischer Manager“ über.

Der zweite Aspekt auf dem Weg zur Festigung der Macht war die Instrumentalisierung außenpolitischer Krisen. Der vom Irak 1980 angezettelte Krieg gegen den Iran war hier ein entscheidender Schritt. „Der Krieg verschleierte die schwere wirtschaftliche Krise und konnte außerdem für die Nichteinlösung so mancher Versprechen der Revolution verantwortlich gemacht werden.“5 Außerdem wirkte er wie ein neuerlicher Mobilisierungsschub für die Islamische Republik. „Denn selbst die Iraner, die eigentlich gegen die Islamische Republik waren, wechselten im Zuge der Verteidigung gegen die ausländischen Aggressoren in Khomeinis6 Lager.“7 In dieser Situation konnten die Reste der linken und nationalistischen Opposition ausgeschaltet werden. Säkulare Frauen- und StudentInnenorganisationen wurden brutal verfolgt und durch islamische Organisationen ersetzt.

Der Iran-Irak Krieg endete 1988 mit Tausenden Toten und massiver Zerstörung von Infrastruktur sowie wichtiger wirtschaftlicher Sektoren. Die dramatischen Auswirkungen des Krieges schwächten den Rückhalt der islamischen Führung in der Bevölkerung.

Ökonomische Liberalisierung

Das Ende des Krieges brachte eine Verschiebung der Machtverhältnisse in der islamischen Führung und im Zuge dessen eine wirtschaftliche Neuausrichtung mit sich. Der unangefochtene Revolutionsführer Ayatollah Khomeini hatte es bis dahin noch geschafft, die verschiedenen Fraktionen der islamischen Bewegung zu vereinen. Mit seinem Tod 1989 und neuer politischer und ökonomischer Rahmenbedingungen zerbrach dieses Bündnis und es setzte sich ein wirtschaftsliberaler Kurs unter dem einflussreichen Geistlichen Haschemi Rafsanjani8 durch. Der Wirtschaftswissenschaftler Mahdy Farhadian beschreibt die Neuausrichtung der Islamischen Republik: „Nach einem Jahrzehnt der aktiven Interventionen des Staates in die Wirtschaft verschob sich die balance of power innerhalb der Wirtschaft, weg von den mostasaffin, den Unterdrückten, und hin zur Bourgeoisie und ihrer verbündeten Mittelklasse. Dieser Trend wird verstärkt durch die Deregulierung der Preise auf Lebensmittel und andere Güter sowie Dienstleistungen.“9 Dazu kam, dass die Privatisierung von nicht rentablen Staatsbetrieben zu einer schärferen Situation am Arbeitsmarkt beitrug. Dieser neue Kurs war in der Bevölkerung unpopulär, und selbst innerhalb des islamischen Lagers nicht unumstritten. Es kam in dieser Situation zu einem wachsenden Spalt zwischen einer korrupten geistlichen Oberschicht und der verarmten Bevölkerung10, als auch zu immer deutlicheren Differenzen zwischen Radikalislamisten, Konservativen, Wirtschaftsliberalen und Islamischen Reformern.

Viele prominente Geistliche11 und ehemalige Islamische Revolutionäre begannen aufgrund anhaltender politischer Repression offene Kritik an der konservativen Führung zu äußern und manche sogar die „Herrschaft der Rechtsgelehrten“12 in Frage zu stellen.

Reformbewegung von oben

Auch in der iranischen Bevölkerung wuchs die Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen – Proteste wurden lauter. Diese Stimmung führte 1997 zur Wahl des reformfreundlichen Geistlichen Khatami13, welcher vor allem mit den Stimmen der Frauen und Jugendlichen zum Präsidenten gewählt wurde. Die neue Regierung bot der Bewegung von unten den Rahmen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Pressezensur wurde nach und nach ausgehölt und es entwickelte sich eine breite, von den neuen Medien und sozialen Gruppen getragene, öffentliche politische Debatte. Es kam zu Protesten und Auseinandersetzungen für eine politische Liberalisierung. Trotz Redaktionsschließungen von Reformzeitungen, Verhaftungen von AktivistInnen und politischer Morde ließ sich die Bewegung nicht einschüchtern.
Ab der zweiten Amtsperiode Khatamis spitzte sich die wirtschaftliche Situation weiter zu. Das Wirtschaftsprogramm sah weitreichende Privatisierungen14, weitere Deregulierung des Marktes und Einschnitte in das Sozialsystem vor. Die allgemeinen Lebensbedingungen sanken aufgrund der Reduktion sozialer Leistungen. Die Arbeitslosigkeit unter der seit den 80er Jahren rasch anwachsenden Bevölkerung stieg. All dies führte zu sozialer Unzufriedenheit und großer Enttäuschung mit der reformistischen Regierung.
Ein erster Bruch zwischen der Reformbewegung auf der Straße und der reformistischen Regierung manifestierte sich mit den StudentInnenprotesten 1999. Khatami stellte sich offen auf die Seite des Systems und verurteilte die Proteste. Das war für die StudentInnen, die auf Khatami vertraut hatten, ein Schlag ins Gesicht – die Regierung hatte sich von der Bewegung distanziert.
Auch innerhalb der herrschenden Klasse konnten sich die Reformisten immer schlechter durchsetzten. Ihre Anstrengungen das politische System zu reformieren stießen auf den Widerstand noch mächtigerer Instanzen wie zum Beispiel Revolutionsführer Khamenei15 und Wächterrat. Die Bemühungen für eine institutionelle Reform scheiterten am Widerstand der konservativen Kräfte und an der kompromissbereiten und zögernden Strategie der Regierung.
Mit ihrer neoliberalen unsozialen Politik konnte die Regierung die verarmten Bevölkerungsschichten nicht mehr für sich mobilisieren. Auch die von vielen erhofften politischen Reformen kamen nicht zustande.16Das Fehlen von Antworten für die soziale Problematik im Land ermöglichte es den Radikalislamisten mit Sozialdemagogie eine zögernde Unterstützung unter den Ärmsten zu gewinnen.

Der Machtwechsel zu den Radikalislamisten

Viele der Radikalislamisten stammten aus den städtischen und ländlichen Unterschichten und hatten sich während der Iranischen Revolution in Hoffnung auf materielle und politische Verbesserungen den Basidjis angeschlossen. Diese „Fußsoldaten“ der Islamischen Republik „waren diejenigen, die zu Beginn der Revolution die Demonstrationen und Kundgebungen organisierten, diejenigen, die während des achtjährigen Krieges gegen den Irak an vorderster Front kämpften, diejenigen, die sich um die Niederschlagung oppositioneller Gruppen kümmerten – mit einem Wort, sie waren diejenigen, die die Drecksarbeit verrichteten, während die älteren Herren die Früchte ernteten.“17 Die Radikalislamisten waren von der Korruption und Bereicherung ihrer geistigen Führung enttäuscht und sahen einen Verrat an den ideologischen und sozialen Wurzeln der Islamischen Republik. Durch den Sieg der Reformisten Ende der 90er Jahre gewannen die islamistischen Basidji-Milizen und Revolutionswächter im Lager der Konservativen wieder an Gewicht. Sie wurden wieder vermehrt zur Niederschlagung der Opposition sowie zur Mobilisierung der islamistischen Basis eingesetzt, welche durch die Sozialwerke der Islamischen Stiftungen an der Stange gehalten wurden.
Am 27. Februar 2004 schafften es die Konservativen wieder die Kontrolle über das Parlament zu übernehmen und im letzten Jahr gewann Mahmud Ahmadinedschad, ein Vertreter der Radikalislamisten im Iran, die Präsidentschaftswahl. Damit hat die Reformära von oben ein nicht unerwartetes Ende genommen. Dem Wahlgang war ein langer Prozess politischer Machtkämpfe zwischen den islamischen Fraktionen sowie Repressionswellen gegen Oppositionelle und reformfreundliche Zeitungen vorangegangen. Bei den Parlamentswahlen 2004 als auch bei den Präsidentenwahlen 2005 wurden tausende von Bewerbern und sogar 87 bereits gewählte Parlamentsmitglieder durch den Wächterrat von den Wahlen ausgeschlossen, was den Konservativen von vornherein die Staatsmacht sicherte. Aus diesem Grund boykottierten viele IranerInnen die Wahlen.
Die Präsidentenwahl von 2005, wo sich Ahmadinedschad gegen den ehemaligen Präsidenten Rafsanjani durchsetzte, zeigte aber auch die Konflikte in der Machtelite der Islamischen Republik. Ahmadinedschad gab sich als Kämpfer gegen Korruption und Vetternwirtschaft.18 Seine Sozialdemagogie sprach das Bedürfnis der benachteiligten IranerInnen nach Sicherung ihrer materiellen Existenz erfolgreich an. Er wurde nicht wegen seiner religiösen Rhetorik sondern in erster Linie wegen seiner sozialen Versprechen von den Armen gewählt. Dies zeigt das Scheitern der Reformer auf der Ebene der sozialen Gerechtigkeit. Es gab unter den führenden Reformkräften kaum jemanden, der eine Alternative zum konservativen Sozialislamismus Ahmadinedschads darstellen konnte. Die Wahl Ahmadinedschads war eine Protestwahl mancher Sektionen der Unterschichten gegen die neoliberale reformistische Führung.
Die neue iranische Regierung wird ihre sozialen Versprechungen für die Ärmsten nicht in die Tat umzusetzen. Noch dazu fehlt ihr die Unterstützung der Mehrheit der IranerInnen und, was nicht minder wichtig ist, die Unterstützung eines erheblichen Teils des konservativen Lagers. Deshalb trat sie die Flucht nach vorne an: Konflikte auf die Spitze treiben, (außenpolitische) Krisen erzeugen, die Armen mit populistischen Parolen mobilisieren, die Gegner denunzieren und Feindbilder aufstellen. Mit dieser Methode gelang es ihr, zumindest ein geringes Maß an Unterstützung zu sichern.

Aktuelle Bewegungen: Arbeitskämpfe

Die AktivistInnen der Reformbewegung waren vom Scheitern der reformistischen Führung desillusioniert und wandten sich von ihr ab. Doch das Versagen der Reformbewegung von oben zeigte den ArbeiterInnen, Frauen, StudentInnen und Jugendlichen die Grenzen und Widersprüche der Islamischen Republik und verursachte einen hohen Politisierungsgrad.

Die Islamische Republik bezog ihre Legitimation aus der Unterstützung der Mostasaffin, den Armen und ArbeiterInnen. Die Verbindung zwischen dieser Basis und der islamischen Oberschicht ging wegen der wirtschaflichen Neuausrichtung in die Brüche. Anfang der 90er intensivierten sich aufgrund der schlechter werdenden Lebensbedingungen die sozialen Auseinandersetzungen. 1995 kam es gegen die Verdopplung der Buspreise zu gewaltsamen Ausschreitungen in Islamshahr, einem ArbeiterInnenviertel von Teheran. Die Proteste endeten in einem Blutbad.19 Die Aufstände wurden zwar niedergeschlagen, aber sie markierten eine Wende im Grad der sozialen Auseinandersetzung. Die Bevölkerung, besonders die ärmeren Schichten, war von nun an bereit auch zu radikaleren Mitteln zu greifen.20
In den letzten Jahren gab es speziell in der Frage nicht ausbezahlter Löhne sowie der Angst vor Arbeitsplatzverlust zahlreiche Streikaktionen von ArbeiterInnen in verschiedensten Wirtschaftszweigen. Außerdem treibt die massive Inflation die Preise in die Höhe und verursacht zusätzliche Wut gegen die Profiteure der Islamischen Republik an den Schalthebeln der Macht. Die Abneigung der einfachen Bevölkerung gegen die Geistlichen und deren Verbündete zeigt sich im allgemeinen Straßenbild der iranischen Großstädte. Mullahs müssen am Straßenrand lange ausharren, bis ein Fahrer der zahlreichen Sammeltaxis sich dazu erbarmt sie mitzunehmen. Andere Fahrgäste weigern sich oft aufgrund der tiefen Abneigung vor dieser korrupten Elite mit einem Mullah im Taxi zu fahren.
Ein weiteres Kampffeld für die iranischen ArbeiterInnen ist die Etablierung von unabhängigen Gewerkschaften. Der aktuellste Kampf war der Busarbeiterstreik in Tehreran. Die Gewerkschaft der Busarbeiter wurde in den 80er Jahren verboten, aber 2004 reanimiert. Sie setzt sich für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung ein und kämpft für bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung durch die Forderung nach Kollektivverträgen. Dafür wurden am 22. Dezember 2005 zwölf ihrer Anführer verhaftet, woraufhin ein Streik der Busarbeiter zur Befreiung einsetzte. Die Auseinandersetzung zwischen den ArbeiterInnen und dem Staatsapparat intensivierte sich in den folgenden Monaten. Hunderte Busfahrer, ihre Familienmitglieder und studentische SymphatisantInnen wurden dabei verhaftet, mussten aber bald wieder freigelassen werden.
Trotz der massiven Repression und der Einschüchterungen, zeigt der Arbeitskampf die Aktivität und Entschlossenheit der iranischen ArbeiterInnen. Sie fordern den theokratischen Staat auf ihre Weise heraus, indem sie gegen die ungerechte Verteilung von Reichtum und die politische Repression kämpfen.

Frauenbewegung

„Frauen im Iran haben trotz ideologischer Herrschaft und struktureller Beschränkungen, im Kontext des schiitischen Islams, ein erstaunliches Engagement, Mut und Vorstellungskraft bewiesen um für ihre Geschlechterinteressen, Menschenrechte und Demokratie zu kämpfen.“ Die Geschlechterkonstruktion, diktiert von den patriarchalen Institutionen wie Staat, Familie, Bildungsystem, Arbeitswelt, Medien und Parlament werden von ihnen aktiv konfrontiert und in Frage gestellt.21
Die ideologischen und sozialen Entwicklungen im Iran der letzten 25 Jahre produzierten widerpsrüchliche Tendenzen für Frauen in der Gesellschaft. Auf der einen Seite wurde von der Islamischen Führung versucht, (besonders säkulare) Frauen aus den offiziellen Sphären gesellschaftlichen Lebens auszuschließen und auf ihre reproduktive Rolle innerhalb der Familie zu beschränken. Frauen wurden auf dem Arbeitsmarkt und vor dem Gesetz stark benachteiligt und ihr Leben repressiven Kontrollen unterworfen.22 Doch gleichzeitig waren religiöse Frauen der Unterschichten ein wichtiges Element im Aufbau der Islamischen Republik gewesen. Diese relgiösen Frauen waren im modernen säkularen Pahlavi-Staat aufgrund ihrer Religiösität marginalisiert und ideologisch vom Zugang zu säkularer Bildung und Arbeit ausgeschlossen gewesen. Der Islamische Staat ermöglichte ihnen nun den Zugang zu materiellen und ideologischen Ressourcen und verlieh ihnen eine beschränkte Macht. Paradoxerweise gab die patriarchale Ordnung religiösen Frauen aus traditionellen Familien zum ersten Mal die Möglichkeit, ihre familiären Zwänge zu verlassen und in Politik und Gesellschaft aktiv zu werden. Diese neu erworbene aktive Präsenz in der Gesellschaft gab religiösen Frauen ein noch nicht dagewesenes Selbstbewusstsein. Die wachsende Berufstätigkeit und der sozialpolitische Aktivismus von Frauen führte dazu, dass ihr Bewusstsein für frauenspezifische Interessen stieg und sie die Schranken der staatlichen Geschlechterideologie in Frage stellten.23

Säkulare und islamische Frauen hatten in der iranischen Revolution und beim Sturz des Shah eine wichtige Rolle gespielt. Doch in den 80er Jahren gab es einen Bruch zwischen der islamischen und der säkularen Frauenbewegung über die Frage der Gründung der Islamischen Republik. Säkulare Frauenorganisationen wurden im Zuge der Islamisierung aus den Institutionen verdrängt und durch staatliche islamische Frauenorganisationen ersetzt. Tatsächlich folgte die Mehrheit der Iranerinnen den islamischen Feministinnen. Doch bereits in den 80er Jahren wandelte sich das Verhältnis vieler islamischer Feministinnen zu ihren männlichen Kollegen und dem Islamischen Staat, den sie unterstützt hatten. Auf der Seite säkularer Feministinnen erkannten einige, dass Frauenunterdrückung nicht allein auf die islamische Ideologie reduziert werden kann. Themen wie Scheidung, das Sorgerecht für Kinder und andere Familiengesetze betreffen die ökonomische und soziale Rolle aller Frauen genauso wie Armut, Zugang zu Gesundheit, Bildung und Arbeit. In den 90er Jahren entwickelten sich daher aufgrund des steigenden ökonomischen Drucks gemeinsame Aktivitäten religiöser und säkularer berufstätiger Frauen und sie legten ihre Meinungsunterschiede, zum Beispiel über das Tragen des Hejab (das islamische Kopftuch), beiseite. In Frauenzeitschriften durch Journalistinnen, im Parlament durch weibliche Abgeordnete oder Juristinnen wurde für die Verbesserung der Situation iranischer Frauen in der Gesellschaft gekämpft.
Während der Präsidentenwahlen kandidierten 89 Frauen, um gegen die Verfassung zu protestieren, welche Frauen verbietet Präsidentin zu werden. Im Zuge dessen gab es mehrere Demonstrationen und Sit-Ins von Demokratie- und FrauenaktivistInnen gegen diese Diskriminierung. Am 9. Juni 2005 stürmten mehrere hundert junge Frauen das Azadi-Fußballstadion und widersetzten sich somit dem Verbot für Frauen Fußballspiele besuchen zu dürfen. Gleichzeitig praktizieren insbesonders Frauen in den Städten die Strategie des zivilen Ungehorsams gegen die islamischen Kleidervorschriften. Die Kopftücher rücken immer weiter nach hinten und die Gewänder werden enger. Die iranische Frauenbewegung hat trotz einer harten repressiven Politik immer wieder mit Ausdauer, Kreativität und Radikalität die Regeln der Islamischen Republik konfrontiert um ihrem Recht nach Gleichberechtigung und Freiheit Nachdruck zu verleihen.
Die Frauenbewegung war und ist ein entscheidender Teil der Demokratiebewegung auf der Straße. Frauen waren auch die entscheidende Stimme in der Wahl des reformfreundlichen Präsidenten Khatami. Es konnten in den 90er Jahren tatsächlich begrenzte Reformen im Familien-, Scheidungs- und Arbeitsrecht für Frauen erkämpft werden. Dies war durch das selbstbewusste Engagement zahlreicher Frauenaktivistinnen am Arbeitsplatz, Universität, in der Politik und Justiz ermöglicht worden.

StudentInnenproteste

In der Islamischen Republik gab es in den 90er Jahren eine breite Bildungsoffensive. Im ganzen Land wurden Universitäten und Schulen gebaut um dem Versprechen nach „unentgeltlicher Ausbildung für das Volk“ nachzukommen.
Damit wurde eine Dynamik freigesetzt, die dem Regime gefährlich geworden ist. „Die Erziehungspolitik der Republik ist verantwortlich dafür, dass die Kinder der Revolution hervorragend ausgebildet und politisiert wurden und sie, weil sie schon mit 16 Jahren das Wahlrecht erhalten, die Ersten waren, die ihrer Unzufriedenheit mit dem Regime Ausdruck verliehen.“24 Die höhere Bildung für einen großen Teil der Bevölkerung erhöht auch die Erwartungen der (jungen) IranerInnen auf Gleichberechtigung vor dem Gesetz, gleicher politischer Partizipation, Recht auf Gesundheit, Bildung, Arbeit und das Frauenrecht, selbst entscheiden zu können, den islamischen Hejab zu tragen oder nicht. Da diese Widersprüche in der Islamischen Republik nicht gelöst werden können, wächst die Unzufriedenheit der Jugend immer weiter.
Die StudentInnenbewegung ist von Anfang an ein Herzstück der Reform- und Demokratiebewegung gewesen. Die gelockerte Pressezensur Ende der 90er Jahre gab den Studiernden die Möglichkeit, Ideen auszutauschen und eigene politische Zeitschriften zu publizieren. Die größten politischen Unruhen seit der iranischen Revolution fanden im Juli 1999 unter diesen Umständen statt. Die Proteste richteten sich gegen die Schließung der reformistischen Zeitung „Salam“. In Reaktion darauf überfielen in der Nacht zum 9. Juli bewaffnete paramilitärische Einheiten die Studierendenschlafsäle der Universität Teheran. Dabei kam mindestens ein Student ums Leben und Hunderte wurden verletzt. Im Verlauf der nächsten Tage fanden im ganzen Land Demonstrationen und Unruhen sowie zahlreiche Verhaftungen statt. Der 9. Juli gilt seitdem als wichtiger Bezugspunkt für die StudentInnenbewegung und der Jahrestag wird mit Protesten gefeiert.
2003 enzündete das Vorhaben des Regimes, die StudentInnenwohnheime sowie andere universitäre Dienstleistungen zu privatisieren und die Studiengebühren zu erhöhen, eine neuerliche Protestwelle. Die Studierenden lieferten sich über zehn Tage lang nächtliche Straßenschlachten mit den Basidjis. Die Proteste politisierten sich sehr schnell und fordertem die Herrschenden insgesamt heraus. Die StudentInnenunruhen fanden in der Bevölkerung eine breite Zustimmung. In den Armenvierteln brachen selbst Unruhen aus und während dieser zehn Tage ertönten Tausende von Autohupen in den Straßen Teherans und anderer großer Städte um Solidarität mit den Protestierenden zu zeigen. Die Aufstände konnte zwar niedergeschlagen werden, markierten aber aufgrund der direkten Kritik gegen die herrschende Geistlichkeit eine neue Qualität politischer Auseinandersetzungen.

Perspektiven der iranischen Bewegungen

Der Kampf um Demokratie und Freiheit ist ein wesentlicher Bestandteil der iranischen Gesellschaft. In den letzten Jahren haben wichtige Auseinandersetzungen stattgefunden. Wenn sie auch nicht gewonnen werden konnten, zeichnet sich das Bild einer dynamischen kämpferischen und weitverzweigten Demokratiebewegung ab, welche den undemokratischen Islamischen Staat und dessen Institutionen konfrontiert.
Widerstand gegen das repressive Regime findet auch im Alltagsleben vieler IranerInnen seinen Ausdruck. Durch vielfältige Strategien – das Brechen von konservativen Geschlechterrollen, aktive Nicht-Kooperation mit dem Islamischen Staat und dessen Vertretern, die Nutzung von nicht-staatlichen illegalen Medien (Satellitenfernsehen, Internet25) – wird die ideologische Legitimität der Islamischen Republik unterhöhlt.
Doch die aktuelle außenpolitische Lage stellt die iranische Demokratiebewegung vor ein großes Problem. Die Attacken des Westen wegen der Urananreicherung Irans stärken die Position des Regimes. Die Mehrheit der IranerInnen unterstützt trotz aller Kritik an der eigenen Führung ihr Recht auf friedliche Nutzung der Atomenergie. Schließlich hat der Iran eine lange Geschichte im Kampf für Unabhängigkeit und Selbstbestimmung und diese ist im Bewusstsein der IranerInnen noch immer tief verwurzelt. Ahmadinedschad nutzt aber den „Feind von außen“ um den Nationalismus aufzupeitschen und die repressiven Apparate noch weiter zu stärken. Die iranischen Bewegungen stehen im Kreuzfeuer. Solange diese Situation anhält existiert die Möglichkeit, dass sich das Regime, welches nach wie vor unter Druck einer schwindenden Basis steht und sich gewisse Maßnahmen nicht mehr leisten kann, wieder festigt. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Kampf der internationalen Antikriegsbewegung gegen die Offensive der USA und EU gegen den Iran eine wichtige Voraussetzung um der iranischen Opposition den Rücken frei zu halten.

Anmerkungen

1 1953 putschte Mohammad Reza Schah Pahlavi mit Hilfe von Teilen des Militärs und der CIA gegen die demokratisch gewählte Regierung des Nationalisten Mohammad Mossadegh. Siehe dazu: Stephen Kinzer, All the Shah’s Men. An American Coup and the Roots of Middle East Terror, New Jersey 2003.
2 Maryam Poya, Women, Work & Islamism. Ideology and Resistance in Iran, London 1999, p48.
3 Siehe zur Geschichte der Shoras: Maryam Poya, Iran 1979 – Lang lebe die Revolution! Lang lebe der Islam? http://www.linksruck.de/zeitung/archiv/geschich/mp_i1979.htm#kap3
4 Siehe dazu: Maziar Behrooz, Rebels with a Cause. The failure of the left in Iran, London 1999.
5 Rasoul Fadil, Irak-Iran: Ursachen und Dimensionen eines Konflikts, Wien 1987, p113.
6 Ayatollah Ruhollah Musawi Khomeini (1900-1989) war Geistliches Oberhaupt und Revolutionsführer der Islamischen Republik von 1979 bis zu seinem Tod 1989.
7 Nasrin Alavi, Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weglog-Szene, Köln 2005, p84.
8 Rafsanjani ist einer der mächtigsten und reichsten Geistlichen des Iran. Er galt schon zu Khomeinis Zeiten als seine Rechte Hand und besetzte während seiner Präsidentschaft die Schalthebel der Macht mit ihm getreuen Technokraten. Der Rafsanjani-Clan gehört zu den reichsten Familien des Iran mit weitverzweigten wirtschaftlichen Aktivitäten.
9 Mahdy Farhadian, Der wirtschaftliche Wiederaufbau Irans: von monarchistischer Modernisierung zu sozio-islamischem Liberalismus, Diss., Universität Regensburg 2002, p95, http://www.opus-bayern.de/uni-regensburg/volltexte/2002/117/.
10 Es leben heute geschätzte 12 Millionen IranerInnen unter der Armutsgrenze. Ca. 80% des nationalen Vermögens liegt in den Händen der religiösen und politischen Elite. Diese Eliten waren aber weiterhin, wegen des Drucks von unten gezwungen, begrenzte materielle Zugeständnisse in Form von Sozialleistungen zu machen.
11 Der Großayatollah Montazeri, einst der zweite Mann in der Islamischen Republik nach Khomeini und dessen potentieller Nachfolger, ist ein leuchtendes Beispiel dafür. 1988 begann er die Massenhinrichtungen von Oppositionellen offen zu kritisieren und wurde daraufhin aus der Macht ausgeschlossen und bis zum Jahr 2003 unter Hausarrest gestellt. Heute gehört er zu den schärfsten Kritikern der Islamischen Republik und genießt ein hohes Ansehen in der Bevölkerung.
12 Die „Herrschaft der Rechtsgelehrten“ (Velayath-e faghih) ist ein Grundelement der Islamischen Republik und garantiert die politische Macht des Klerus.
13 Mohammed Khatami (1943 geboren) war der fünfte Staatspräsident des Irans. 1981 wurde er Minister für islamische Kultur, galt aber bereits als gemäßigt. 1992 trat er wegen Differenzen mit der konservativen Führung von diesem Posten zurück.
14 Bei den Privatisierungen spielten die halbstaatlichen Bonjads< (Islamischen Stiftungen) eine aktive Rolle. Sie sind nach dem Staat die mächtigsten Wirtschaftseinheiten im Iran. Ursprünglich mit der Aufgabe betraut den ärmsten Schichten soziale Dienste bereitzustellen, entwickelten sie sich in den 90er Jahren zu kapitalistischen Konzernen. Die Bonjads besitzen große industrielle Unternehmungen, sind im Geldgeschäft und im Schwarzmarkt tätig.
15 Ayatollah Seyyed Ali Khamenei (geboren 1939) war, nachdem er von 1981 bis 1989 Staatspräsident des Iran war, der Nachfolger von Khomeini als Geistliches Oberhaupt. Seine Ernennung zum Ayatollah (hoher schiitischer geistlicher Rang) war mit seinem Staatsamt verbunden und von vielen schiitischen Geistlichen nur widerwillig angenommen worden.
16 Stattdessen wurde die Pressezensur wieder gestrafft und die Gefängnisse füllten sich mit politischen Häftlingen.
17 Bahman Nirumand, Iran – Die drohende Katastrophe, p108.
18 Dies war somit auch ein direkter Angriff auf seinen Kontrahenten Rafsanjani, der bekanntlich zu den reichsten und korruptesten Lenkern der Islamischen Republik zählt und ein Symbol für die iranische Obrigkeit ist.
19 http://www.wildcat-www.de/wildcat/wc_krieg_2003/wk3irana.htm
20 Mahdy Farhadian, Der wirtschaftliche Wiederaufbau Irans: von monarchistischer Modernisierung zu sozio-islamischem Liberalismus, Diss., Universität Regensburg 2002, p214f, http://www.opus-bayern.de/uni-regensburg/volltexte/2002/117/.
21 Maryam Poya, Women and Work in Iran, http://www.stateofnature.org/womenAndWork.html.
22 Dies änderte sich aufgrund der ökonomischen Entwicklung, die die (unter- oder unbezahlte) Frauenarbeit im öffentlichen Sektor erforderte und während des Iran-Irak Kriegs Frauen an der Heimatfront eine wichtige mobilisierende und soziale Rolle spielten.
23 Maryam Poya, Women, Work and Islamism. Ideology and Resistance in Iran, pp135-138.
24 Nasrin Alavi, Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weglog-Szene, Köln 2005.
25 Aufgrund der anhaltenden Repression und fehlenden Möglichkeit Meinungen frei auszutauschen, hat in den letzten Jahren das Internet als Meinungsplattform insbesonders für junge IranerInnen eine wachsende Bedeutung erhalten. Siehe dazu: Nasrin Alavi, Wir sind der Iran. Aufstand gegen die Mullahs – die junge persische Weglog-Szene, Köln 2005. Vgl. Rezensionsteil dieser Ausgabe.





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