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Ständige Unruhe
von Benjamin Opratko

Rezension: Beverly J. Silver: Forces Of Labor. Arbeiterbewegungen und Globalisierung seit 1870. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2005. 18,00 €

Wir befinden uns, schenken wir dem wissenschaftlichen und medialen Mainstream zum Thema Glauben, in einem völlig neuen Zeitalter. Die „Globalisierung“ hat uns ihre ehernen Naturgesetze aufgezwungen, die fortschrittliche Politik praktisch unmöglich machen. Die von internationalen Konzernen ausgehöhlten Nationalstaaten, heißt es da, müssen gegeneinander um die Gunst des Kapitals buhlen, das, einem scheuen Reh gleich, aus unwirtlichem Gebiet schneller abhaut, als man „Lohndumping“ sagen kann. Und die ArbeiterInnenbewegung? Die gibt es kaum noch, und wenn doch, so ist sie angesichts der Herausforderungen des Weltmarktes hilf- und orientierungslos.
Diesem weit verbreiteten Mythos hält Beverly Silver eine auf reichhaltigem empirischen Material und wohlüberlegtem theoretischen Fundament basierte Studie entgegen. In „Forces of Labor“ untersucht sie verschiedene Formen des Widerstands von ArbeiterInnen – so genannte „Arbeiterunruhen“ – seit 1870, die in der einzigartigen Datenbank der „World Labor Group“ erfasst sind und zeigt, dass vieles, was uns heute als Eigenschaften einer völlig neuen und unvergleichlichen Ära präsentiert wird, im großen historischen Rahmen keineswegs ungewöhnlich ist.
Silvers recht komplexer theoretischer Rahmen orientiert sich dabei an der Tradition des Operaismus, an den Weltsystem-Analysen von Immauel Wallerstein und Giovanni Arrighi (Co-Autor anderer Bücher von Silver) und an Überlegungen des marxistischen Wirtschaftsgeographen David Harvey. In „Forces Of Labor“ zeigt sie, wie „Arbeiterunruhen“ zu zyklischen Krisen führen, auf die das Kapital mit einer Reihe von Bewältigungsstrategien reagiert. Diese Strategien nennt Silver, anschließend an David Harvey, „fixes“. Der Begriff „fix“ ist in seiner Doppeldeutigkeit unübersetzbar: Einerseits bedeutet er, dass Kapital an eine andere Stelle verlagert, also dort „fixiert“ wird; gleichzeitig bedeutet „to fix“ auch, einen Schaden zu beheben – die „Reparatur“ bleibt jedoch nie endgültig, da das grundlegende Problem damit nur zeitlich oder räumlich hinausgeschoben wird. Der erste von Silver behandelte „fix“ ist ein heute wohl bekannter: mit dem „räumlichen fix“ versucht das Kapital, durch geographische Verschiebungen bessere Standortbedingungen zu finden. Die Verlagerung von Produktionsstätten nach Ostasien oder in Maquiladora-Industrien sind dafür aktuelle Beispiele. Eine zweite Strategie ist der „technologische fix“, der durch technische oder arbeitsorganisatorische Innovationen Vorteile für das Kapital bietet, wie das aktuell mit „Just-In-Time“-Produktion oder der massenhaften Schaffung von prekären Arbeitsverhältnissen passiert. Die Verlagerung in andere, profitablere Produktionsbereiche wird mit dem Begriff „Produkt-fix“ bezeichnet, während der „finanzielle fix“ die laut Silver wichtigste Strategie der letzten Jahrzehnte bezeichnet. Hier werden große Teile des Kapitals ganz aus unproduktiven Sektoren in Produktion und Handel abgezogen, um sich in Finanz und Spekulation zu flüchten.
Der entscheidende Punkt, den Silver macht, ist, dass all diese „fixes“ bloß provisorische Behelfe sind, die letztlich trotzdem wieder die Bedingungen produzieren, vor denen man fliehen wollte. Sie beschreibt am Beispiel der Autoindustrie, wie eine Reihe von „räumlichen fixes“ seit den 1930er Jahren – von Nordamerika über (Süd-)Europa bis in sich schnell industrialisierende Länder der 1980er und 90er Jahre wie Südafrika, Brasilien oder Südkorea, dazu geführt hat, dass Arbeiterunruhen, Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und soziale Bewegungen die Industrie immer wieder „einholten“: „Wohin das Kapital auch geht, die Konflikte gehen mit“ (64). Das Argument ist deshalb so wichtig, weil es der These der Ohnmacht der ArbeiterInnen angesichts eines „Wettlaufs nach unten“ in Sachen Arbeits- und Sozialstandards Wind aus den Segeln nimmt.
„Forces of Labor“ analysiert Schritt für Schritt die oben vorgestellten „fixes“ und kommt zum Schluss, dass die jüngsten Veränderungen der Weltwirtschaft durchaus ihre historischen Entsprechungen in der Geschichte des Kapitalismus haben. Die Epizentren der „Arbeiterunruhen“ verschieben sich zwar, ihr Verschwinden ist aber bei weitem nicht in Sicht. Ob die Stärke der ArbeiterInnen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten anwachsen kann, hängt dabei nicht nur von den strukturellen Veränderungen des Kapitalismus ab, sondern auch und besonders davon, ob neue und angemessene Formen der Organisierung von ArbeiterInnen gefunden werden können.
Problematisch an „Forces Of Labor“ ist jedoch, dass oft unklar bleibt, ob und wie diese Dynamik von “Arbeiterunruhe” und “fixes” durchbrochen werden könnte. Die Betonung der „Zyklen“ des Widerstands und das (von Polanyi übernommene) Argument, dass der Weltkapitalismus sich in Pendelbewegungen zwischen regulierten und unregulierten Formen des Marktes bewegt, lässt die Geschichte oft als ewige Wiederkehr des Gleichen erscheinen. Silvers Plädoyer für „eine internationale Ordnung, die den Profit tatsächlich der Existenzsicherung aller unterordnet“ (224) erhält so wenig Unterfütterung. Nichtsdestotrotz: Der Wert dieses Buchs für die Debatten um die Zukunft der ArbeiterInnenbewegung wird auch von seinen – wenigen – Schwächen nicht wirklich geschmälert.

Eine ausführliche Sammlung von Texten, Materialien und Rezensionen zu „Forces Of Labor“ gibt es unter http://www.wildcat-www.de/dossiers/forcesoflabor/fol_dossier.htm





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